: Von Augsburg und Saarlouis überholt
Von bundesweit 2.000 gasbetriebenen Autos fahren nur 40 in Berlin. EU-Gelder wurden abgelehnt ■ Von Lars Klaaßen
„Die Abgasnormen der europäischen Union werden uns in absehbarer Zeit zu schaffen machen“, warnt Otto Berthold, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Straßen- und Schienenverkehr der Technischen Universität Berlin. Das Problemkind in Sachen Luftverschmutzung ist der Autoverkehr. Dank Katalysator sind die benzingetriebenen Fahrzeuge mittlerweile erheblich umweltfreundlicher geworden. Dieselmotoren stoßen allerdings in kaum verändertem Ausmaß Ruß und andere Schadstoffe aus. Wenn 1999 die verschärfte Euro-III-Abgasnorm in Kraft tritt, werden vor allem Nutzfahrzeuge und Busse davon betroffen sein. „Messungen in Berlin haben gezeigt, daß vor allem in Straßen, in denen mehrere Buslinien verkehren, der Rußausstoß die angepeilten Grenzwerte überschreitet“, so Berthold.
Seit dem Früjahr 1996 fahren zehn gasbetriebene Busse im Linienverkehr der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) – die Flotte umfaßt rund 1.600 Fahrzeuge. Die umgerüsteten Dieselmotoren sollen auf ihre Praxistauglichkeit getestet werden. Das Pilotprojekt wird von der Europäischen Union (EU) gefördert. Berthold ist vom Gasantrieb berzeugt: „Die Rußemissionen gehen gegen null, und alle anderen Werte sind etwa 50 Prozent geringer als bei herkömmlichen Motoren.“ Auch im Verbrauch schneiden die Motoren nicht schlecht ab. Ein Auto, daß im Berliner Stadtverkehr auf 100 Kilometer 30 Liter Benzin beziehungweise 21,4 Liter Diesel verbraucht, benötigt nur 19,3 Kilogramm Erdgas à 1,28 Mark. Bei der BVG werden die Fahrzeuge allerding skeptisch betrachtet. Auch hier spielen Zahlen eine Rolle, jedoch weniger die Abgaswerte als die Betriebskosten. „Erst wenn wir wissen, das die Busse uns keine zusätzlichen Kosten verursachen, können wir über eine weitergehende Umrüstung auf Erdgas nachdenken“, erläutert BVG- Pressesprecher Klaus Wazlack. Aus diesem Grund haben die Verkehrsbetriebe darauf verzichtet, weitere 40 Busse einzusetzen, die ebenfalls von der EU gefördert worden wären. Die Gegenfinanzierung war der BVG zu teuer.
In der Senatsverwaltung für Verkehr gibt man die Hoffnung auf die Erdgasbusse noch nicht auf. „Um die Fahrzeuge zu optimieren, sollten auf den BVG-Strecken auch Busse aus anderen Ländern eingesetzt werden, um Vergleichszahlen zu erhalten“, erläutert Horst Rösgen, Referatsleiter Verkehrsforschung. So stellt sich zum Beispiel die Frage, warum die Busse statt einer angepeilten Reichweite von 300 Kilometern nur 220 Kilometer erzielen. Rösgen: „Das muß nicht mal unbedingt an den Fahrzeugen liegen, sondern könnte sich auch auf die speziellen Einsatzbedingungen in Berlin zurückführen lassen.“ Die Abstände zwischen den Haltestellen sind in Berlin kürzer als in vielen anderen Städten.
Die Chance, eine Vorreiterrolle in Sachen Erdgasfahrzeuge zu erlangen, hat Berlin im vorigen Jahr allerdings verpaßt. Das Bundesumweltministerium hat im Januar 1996 einen Konzeptwettbewerb für den modellhaften Einsatz von umweltfreundlichen Gasfahrzeugen mit einem Fördervolumen von bis zu fünf Millionen Mark ausgeschrieben. Berlin hat sich als Modellstandort für den Gebietstyp „Verdichtungsraum“ beworben. Den Zuschlag erhielt dann jedoch Augsburg. „Das Manko der hiesigen Bewerbung war, daß der öffentliche Nahverkehr nicht in das Konzept integriert worden ist“, ärgert sich Berthold. Auch hier hat das Geld gefehlt. Irakles Avramopoulos, Ingenieur der Entwicklungsabteilung der Ingenieurgesellschaft Auto und Verkehr (IAV), kritisiert die Bewebung Berlins als „halbherzig“. Die IAV ist der größte Umrüster für Gasfahrzeuge in Deutschland. Die Gesellschaft, mit drei Standorten in Berlin, Gifhorn und Chemnitz hat rund 750 Mitarbeiter. Von den etwa 2.000 gasbetriebenen Fahrzeugen in der Bundesrepublik hat sie zirka die Hälfte auf die Straße gebracht. Eins davon in Berlin, wo rund 40 Fahrzeuge in Betrieb sind. Avramopoulos verweist auf Saarlouis: „Dort werden über 50 Prozent der Busse im öffentlichen Nahverkehr mit Erdgas angetrieben.“ Daran solle man sich hier ein Beispiel nehmen.
In Berlin zeigt sich vor allem die Gasag ambitioniert, Erdgasfahrzeugen den Weg frei zu machen. Mit etwa 20 Fahrzeugen hat sie nicht nur die größte Flotte aufzuweisen. Ihr Ziel ist es, eine Infrastruktur zur Betankung zu errichten, um so der Technologie zum Durchbruch zu verhelfen. Der ersten Erdgas-Tankstelle auf einem Gasag-Betriebshof in Charlottenburg sollen 1997 drei weitere folgen. Anvisiert ist je eine Anlage in Kooperation mit Shell beziehungsweise dem skandinavischen Konzern Statoil, die in Neukölln und Zehlendorf gebaut werden sollen. Auf einem Betriebshof der Berliner Stadtreinigung (BSR) soll die vierte Tankstelle entstehen, auch diese für den öffentlichen Gebrauch. Bislang tanken in Charlottenburg neben den Fahrzeugflotten von BVG, Gasag und BSR auch einige gasbetriebene Taxis.
Im Gegensatz zur BVG wird die BSR voraussichtlich noch in diesem Jahr verstärkt auf Erdgas setzen. Konkrete Zahlen werden zwar noch nicht genannt. Klar ist aber: Die Stadtreinigung wird sich eine größere Zahl schwerer Nutzfahrzeuge zulegen, vermutlich um die 30 Stück. Bisher sind bei der BSR zwei Gasfahrzeuge in Betrieb.
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