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Dr. Wasser – Mr. Highway

Der Wasserstraßenausbau nach und in Berlin ist umstritten  ■ Von Lars Klaaßen

Beide Seiten haben sich den Umweltschutz aufs Banner geschrieben. Kritiker warnen vor Gigantomanie und Landschaftszerstörung, Befürworter verweisen auf die ökologische Alternative zum Lkw: Doch das mit 5,4 Milliarden veranschlagte „Projekt 17 Deutsche Einheit“ führt in der öffentlichen Diskussion eine Schattenexistenz. Die anomyme Ziffer bezeichnet den keineswegs unumstrittenen Ausbau der Wasserstraßen von Berlin über Magdeburg nach Hannover.

Auf einer Strecke von rund 280 Kilometern soll die Fahrrinnentiefe in Flüssen und Kanälen auf vier Meter, in Seen auf 3,50 Meter gebracht werden. Auch das 150 Kilometer lange Wasserstraßennetz Spree-Athens soll für die sogenannten „Europaschiffe“ tauglich gemacht werden.

Von Potsdam aus sollen die Industriebereiche im Westen und Osten Berlins über eine nördliche und eine südliche Trasse an die Wasserstraße angeschlossen werden. Die geplante Nordtrasse führt über Unterhavel, Spree und Westhafenkanal zum Westhafen. Auf der Südtrasse soll der Osthafen über Teltowkanal, Britzer Verbindungskanal und Spree erreicht werden.

Diese Route wird nur einschiffig befahrbar sein. Das heißt: Gegenverkehr muß in regelmäßig angelegten Begegnungsstellen ausweichen. Motorgüterschiffe bis zu einer Länge von 110 Metern und Schubverbände bis zu 180 Metern Länge mit einer Breite bis zu 11,40 Meter und einem Tiefgang von 2,80 Meter könnte der geplante Wasserhighway aufnehmen. Bisher reicht es für Schiffe, die nicht länger als 82 Meter sind und lediglich zwei Meter tief ins Wasser eintauchen.

Der geplante Ausbau ist ökologisch und wirtschaftlich heftig umstritten. Transporte mit kleinen Einheiten oder nur teilweise beladenen Schiffen sind unwirtschaftlich. Laut Bundesverkehrsminister Matthias Wissmann ist Projekt 17 deshalb unverzichtbar: „Die Transportkostenersparnisse für die Binnenschiffahrt belaufen sich nach Fertigstellung der Gesamtmaßnahme auf über 370 Millionen Mark pro Jahr.“ Auch Eberhard Staib, Abteilungsleiter Schiffahrt bei der Deutschen Binnenreederei, baut auf größere Transportkapazitäten: „Mit den größeren Schiffen können wir effektiver wirtschaften. Der Ausbau bringt für uns den gleichen Zustand der Wasserwege, wie er im Westen bereits existiert.“ Jede investierte Mark in das Projekt erbringe einen volkswirtschaftlichen Nutzen von rund fünf Mark.

Doch genau das bezweifeln die Gegner des Projektes. „Die ostdeutschen Wasserstraßen sind derzeit nur zu 25 bis 30 Prozent ausgelastet“, so Uwe Lerch vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) Sachsen-Anhalt. Auch ohne den Ausbau ließe sich die Gütertransportkapazität also noch um rund 300 Prozent steigern. Befürworter halten dagegen, daß der Bundesverkehrswegeplan 1992 ein Ansteigen des gesamten Gütertransportvolumens von 63 Milliarden Tonnen pro Jahr auf 116 Milliarden Tonnen pro Jahr bis 2010 prognostiziert. Laut einer Studie der Planco Consulting aus Essen werden davon 25 Millionen Tonnen pro Jahr über die West-Ost-Verbindung der Havelwasserstraße transportiert. Christa Richter, Pressesprecherin des BUND-Landesverbandes Brandenburg, ist jedoch skeptisch: „Der Rhein-Main-Donau-Kanal war 1970 mit der Zielgröße 20 Millionen Tonnen pro Jahr in Angriff genommen worden. 1981 war diese Größe auf 2,7 Millionen Tonnen pro Jahr geschrumpft.“ Vorerst wird auf Berlins Wasserstraßen aber garantiert reger Verkehr herschen. Die zahlreichen Großbaustellen sind ein ideales Tätigkeitsfeld für die Binnenschiffer. Dort werden in den nächsten Jahren rund 25 Millionen Tonnen Bauschutt anfallen. Den umgekehrten Weg nehmen 17 Millionen Tonnen Baustoffe. Davon könnten die Binnenschiffer auf Dahme, Spree und Havel jährlich rund fünf Millionen Tonnen an- und abtransportieren.

Bis das „Projekt 17“ fertiggestellt ist, wird der Bauboom zwar wieder abgeklungen sein, doch das ist für Staib nicht relevant: „Es geht darum, da wir mit konkurrenzfähigen Schiffen von Berlin über das Ruhrgebiet bis in die Niederlande fahren können.“ Die Flotte der Binnenreederei besteht aus kleineren Schiffen, die auf die derzeitigen Kanalabmessungen abgestimmt sind. Sie müßte nach dem Ausbau aufgerüstet werden. „Das ist für die ostdeutschen Binnenschiffer doch eine Chance“, so Staib. „Bis das alles fertig ist, sind viele Schiffe, die heute noch fahren, längst ausgemustert. Bei Neueinkäufen könne man sich den veränderten Bedingungen anpassen und mit der Konkurrenz aus dem Westen gleichziehen.“

Konkrete Pläne für den Ausbau der Berliner Häfen gibt es noch nicht. „Auf jeden Fall müssen die Becken vertieft werden, damit die 2,80 Meter tiefen Schiffe anlegen können“, erläutert Rainer Frohne, Vorstandsvorsitzender der Berliner Hafen- und Lagerhaus-Betriebe (Behala). Auch die Kaimauern müßten verstärkt werden. Von den Häfen der Behala kommen dafür auf jeden Fall der Westhafen, der Spandauer Südhafen und der Osthafen in Frage. „Das“, so Frohn, „wird bis zu 90 Millionen Mark kosten.“ Der Umbau soll möglichst zeitgleich mit der Fertigstellung der Wasserstraßen abgeschlossen werden. Aus dem Bonner Verkehrsministerium verlautete, der Ausbau des Teltowkanals stehe nicht vor 2010 an. Im Gespräch ist auch die Errichtung einer Containerbe- und -entladeanlage, sowie einer Roll-on-roll-off- Anlage für Lastkraftwagen. Neben den 14 öffentlichen Häfen befinden sich noch mehr als 100 private Umschlagplätze in Berlin.

Von den knapp 950 Brücken der Hauptstadt überspannen 182 eine der innerstädtischen Bundeswasserstraßen. Entlang der zwei Ausbautrassen muß die Durchfahrtshöhe zukünftig mindestens 4,50 Meter betragen. Eine erhebliche Zahl von Brücken muß daher angehoben werden. Nach dem bisherigen Planungsstand werden auf der Nordtrasse von den vorhandenen Brücken sieben angehoben und drei neu gebaut. Auf der Südtrasse sollen neun Brücken neu gebaut sowie acht Brücken angehoben werden. Die Glienicker Brücke zwischen Berlin und Potsdam muß im Rahmen des Havelausbaus vorläufig nicht angehoben werden, wie die Wasser- und Schiffahrtsdirektion Ost mitteilte. Neue Messungen hätten ergeben, daß große Europaschiffe, „allerdings unter Einschränkungen“, unter der Brücke passieren können. Gegen die Anhebung der Brückenkonstruktion hatten Umweltschützer mobil gemacht.

Die lautesten Proteste haben sich gegen den Ausbau der Havel erhoben. „Die Vergrößerung des Querschnittes des Flusses führt zu Veränderungen im Wasserregime, der Wasserqualität und der Flußauendynamik“, warnt Christa Richter.

Dem hält das Bundesministerium für Verkehr entgegen: „Im ökologisch wertvollen Abschnitt zwischen Brandenburg und Ketzin werden nur rund vier Prozent der Uferlänge im Bereich der Fluß- und Seenlandschaft verändert.“ Das Wasserstraßen-Neubauamt Berlin argumentiert, bei einer Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf das Wasser und dem Ausbau des Mittelland- und Elbe- Havel-Kanals würden jährlich 200.000 Tonnen Kohlendioxid eingespart.

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