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Der Drogenhandel wird härter

■ In der JVA Tegel werden wöchentlich 200 bis 250 Gramm Heroin konsumiert, berichtet ein Insasse. "Bei über 1.500 Gefangenen kann sich jeder vorstellen, was hier abgeht"

In Berlins größtem Männerknast, der Haftanstalt Tegel, ist Heroin leichter zu haben als Haschisch, behaupten Gefangene. Erstmals schildert ein Insasse, der selbst lange im Knast abhängig war, Details aus dem Anstaltsinnenleben. Der Autor, der eine langjährige Haftstrafe verbüßt, bleibt anonym, um sich vor Repressalien zu schützen.

Aus meiner Erfahrung mit der Szene in der Tegeler Haftanstalt gehe ich davon aus, daß hier zwischen 25 und 40 Prozent der Gefangenen mit harten Drogen in Kontakt stehen. Bei über 1.500 Gefangenen auf so engem Raum kann sich jeder mit etwas Phantasie vorstellen, was hier abgeht, wenn man mal am Breitscheid- Platz vorbeigegangen ist.

Ich kann mit ziemlicher Sicherheit sagen, daß der Heroin-Verbrauch 1994 pro Woche zwischen 120 und 200 Gramm betrug. Ich vermute, daß er heute bei rund 200 bis 250 Gramm angesiedelt werden kann. Das hängt immer davon ab, wie erfolgreich die Sicherheitsabteilung hier drinnen arbeitet. Bei der Nachfrage reguliert sich der Markt immer wieder relativ schnell bei bedeutsamen Ausfällen. Seltener kommt es vor, daß ein Beamter mit einer größeren Lieferung erwischt wird.

Die Abhängigen finanzieren ihre Sucht in der Regel mit dem Verkauf ihres Einkaufs. Des weiteren sind Klamotten, TV-Geräte, Kassettenrekorder, CDs und ähnliches gängige Mittel, um entweder Drogen direkt oder Bargeld und dann Drogen zu erwerben. Ich weiß, daß viele auch ihre Angehörigen schröpfen, bis auch dort nichts mehr zu holen ist. Prostitution will ich nicht ausschließen, aber wenn sie vorkommt, tritt sie sehr vereinzelt auf. In vielen Fällen beziehen die Abhängigen ihre Kleinstmengen auf Pump und versuchen so, ihre Sucht zu finanzieren. Über kurz oder lang endet das damit, daß sie sich so hoch verschulden, daß sie sich aus Gründen der Sicherheit auf die sogenannte „Schuldenburg“ verlegen lassen. Oder sie werden mit Giften abgegriffen und landen auf der Dealerstation.

Ich habe hier drinnen Typen kennengelernt, die aus Angst vor ihren Gläubigern mit Tesafilm umwickelte Rasierklingen schluckten, um deswegen ins Haftkrankenhaus verlegt zu werden. Ein Schicksal, das mir sehr nahe ging: Ein Gefangener, der während seiner Haftzeit abhängig wurde und nach zehn Jahren Knast wenige Monate nach seiner Entlassung an einer Überdosis starb.

Ich vermute, daß es zu jeder Zeit in den verschiedensten Häusern in Tegel immer zwei bis drei Leute gibt, die sich Wege geschaffen haben, Mengen von 50 bis 100 Gramm Heroin pro Woche in die Anstalt zu holen. Über Partner, die in den Handel eingebunden sind, wird das Dope in der Anstalt verteilt. Handelsübliche Mengen reichen von 10 Gramm bis zum 20-Mark-Päckchen. Es war in den letzten Jahren immer einfacher, fünf Gramm Heroin zu kaufen als fünf Gramm Haschisch.

Früher, also bis ungefähr 1995, wurde der Handel in der Regel von Deutschen, Türken und Arabern „kontrolliert“. Seit aber immer mehr Rumänen, Albaner und Polen hier einsitzen, hat sich das verschoben. Diese Gruppen haben hier eine ziemlich dominante Position eingenommen. Leute von früher zogen sich aus der Szene zurück, oder man arrangierte sich mit diesen Typen. Seit zwei bis drei Jahren ist die Drogenszene hier härter geworden. Ein Beispiel: Bekam man früher für ein paar neue „Nike“-Schuhe, die um die 100 Mark kosteten, noch locker 70 bis 90 Mark, kann man heute froh sein, 50 Mark dafür zu erhalten.

Der Handel läuft bei den Gruppen aus Osteuropa viel organisierter ab, obwohl auch dort an der Spitze nur ein oder zwei Typen stehen. Aber in den unteren Regionen wird eine strengere Disziplin eingehalten, als bei anderen, die hier mit Dope handeln. Mir fällt jedenfalls auf, daß in der Regel nur Kleindealer auffliegen, die selbst konsumieren oder für sich in Eigenregie etwas aufgezogen haben. Obwohl viele Osteuropäer auch im Kleinhandel drinstecken, wird von denen kaum einer erwischt. Konnte man früher noch mit seinem Dealer Absprachen treffen, daß man Dope vorgestreckt kriegt und später bezahlt, ist das mit diesen Typen fast gar nicht möglich.

Die Preise für ein Gramm Heroin liegen zwischen 130 und 200 Mark. Aus einem Gramm kann man mit etwas Glück 15 Päckchen à 20 Mark machen und so versuchen, den Eigenkonsum zu decken. Es ist absoluter Quatsch, wenn die Anstaltsleitung behauptet, daß viele Drogen über die Sprechstunden und die Besucher in den Knast kommen. Die Kontrollen sind da einfach zu stark, um wirklich „bedeutsame“ Mengen beziehen zu können. Diesen Weg benutzen ein paar Junkies, um ihre Kleinstmengen von ein bis zehn Gramm zu bekommen. Ich vermute eher, daß über die Urlauber ein reger Fluß stattfindet. Aber man kann davon ausgehen, daß zu jeder Zeit bis zu vier Beamte Drogen in die Anstalt schleppen. Die Quantität der Drogen in bestimmten Phasen läßt kaum einen anderen Schluß zu. Für einen Beamten ist es um ein Vielfaches leichter, Mengen von 50 bis 100 Gramm in der Unterhose einzubringen als für einen Urlauber, zumal die Anstaltsleitung über diese Möglichkeit der Darmcontainer genau Bescheid weiß.

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