piwik no script img

Atomvertrag unterzeichnet

Nach fünf Jahren Verhandlung wirksamere Kontrollen von militärisch nutzbaren Atomanlagen. Europäer wollen sich selbst kontrollieren  ■ Von Peter Sennekamp

Berlin (taz) – Nach fünf Jahren Verhandlungen beschlossen am Freitag in Wien die Gouverneure der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) ein weltweites Kontrollabkommen für Nuklearanlagen. Das Abkommen sichert den Kontrolleuren der IAEO beispielsweise erweiterten Zugang zu Anlagen zu, in denen atomwaffenfähiges Material verarbeitet wird. Auch Geheimdienstquellen müssen künftig häufiger offengelegt werden.

Die erweiterten Kompetenzen der Kontrolleure gelten allerdings nur für die Länder, die sich verpflichtet haben, keine Atomwaffen zu produzieren. Die offiziellen Atomwaffenstaaten USA, Rußland, China, Großbritannien und Frankreich entziehen sich weiter strikt den Kontrollen.

Auch steht ein möglicher Rückzug der IAEO bei Nuklearkontrollen in Westeuropa bevor, weil die europäische Atombehörde Euratom diese Kontrollen in eigener Regie übernehmen will. Bereits im Vorfeld der Vertragsunterzeichnung gab es einen bisher beispiellosen Konflikt zwischen der stets diskreten Euratom in Brüssel und der stets schweigsamen IAEO in Wien, die beide für Kontrollen in der EU zuständig sind. Das offenbarte ein an die Öffentlichkeit gelangtes IAEO-Geheimpapier. IAEO-Vizechef Bruno Pellaud warf in diesem Schreiben der Brüsseler Euratom vor, die Aufsicht durch die Wiener Organisation massiv zu blockieren, Messungen nicht zuzulassen, notwendige Sicherheitstechnik nicht anzuwenden und den Nuklear-Ex- und -Import der EU zu verschleiern.

Euratom-Chef Wilhelm Gmelin konterte gegen das IAEO-Geheimpapier: „Alles blanker Unsinn.“ Es sei eher „eine Frage der Religion, wann man Messungen macht und wo“, eine Frage der Methodik eben, über die es bei beiden Organisationen verschiedene Vorstellungen gebe. Die IAEO hatte von den Europäern verlangt, englische Meßtechnik in Urananreicherungsanlagen einzubauen, damit feinere Meßergebnisse erzielt werden können. Doch Gmelin fegte die Forderung vom Tisch: Euratom wolle keine „Fehlalarmgeneratoren in Industrieanlagen installieren“.

IAEO-Sprecher David Kyd spricht indessen von einer Schlichtung des Konflikts: Die Problemlage sei zur Chefsache geworden, erklärte er, „Kohl und Clinton haben sich telefonisch über den Gesamtrahmen verständigt“, das Problem zwischen der IAEO und Euratom sei damit weitestgehend aus der Welt geschafft. Inzwischen sprechen informierte Stellen allerdings von einem Rückzug der IAEO aus Westeuropa. Die Nuklearkontrollen würde dann Euratom in Eigenregie durchführen.

Die USA wollen die Verbreitung von Atomwaffentechnik und Spaltmaterial ausschließen und verlangen von den Westeuropäern Kontrollzugeständnisse bei der Wiederaufarbeitung und Anreicherung von Nuklearbrennstoffen, bei der Plutonium verwandt wird. Die Westeuropäer jedoch fühlen sich „reif genug“ (US-Kongreß- Forschungsdienst), um sich nicht mehr kontrollieren zu lassen, und wollen auch aus wirtschaftlichen Interessen keinen Einfluß der USA mehr gelten lassen.

Wenn sich die EU heute der Kontrolle der IAEO zunehmend entzieht, kann die UNO-Behörde IAEO ihre Kontrollinteressen gegenüber kritischen Atomländern wie Nordkorea, Iran oder Indien nicht mehr glaubwürdig vertreten. Eine Antwort auf diese Problematik bleibt Euratom bislang schuldig, und die Gefahr wächst, daß kritische Staaten bombenfähiges Material abzweigen. Doch damit nicht genug. Auch das Kontrollproblem bei der zunehmenden Verwendung von Mischoxid- Brennelementen (MOX) in Europa spitzt sich zu, denn die Mischelemente für Reaktoren, in denen sich der Bombenstoff Plutonium befindet, werden inzwischen an AKW-Standorten gelagert, sagt Mycle Schneider vom World Information Service on Energy (WISE) in Paris. Damit finde eine Verbreitung von Plutonium auf viele Standorte statt. Außerdem seien die MOX-Brennelemente von anderen Uran-Brennelementen äußerlich nicht zu unterscheiden und darum Verwechslungen möglich, so Schneider weiter.

Vor allem die deutsche Atomindustrie wehrt sich gegen weitreichende Kontrollen der IAEO, besonders im MOX-Bereich. Die von der IAEO geforderte „Weitergabe schutzbedürftiger Informationen verbietet sich“, da sie „massiv berechtigte Wirtschaftlichkeitsinteressen der Betreiber“ berühren würde, hieß es in einem Schreien der VDEW von 1996. Konkret könnten die UNO-Inspektoren Spionage betreiben. Darum würde die Industrie ihnen den Zugang zu Atomanlagen verweigern. Bisher mußte allerdings ausgerechnet die Entdeckung der deutschen Nukleartechnik im Irak durch IAEO- Kontrolleure und die angebliche Weitergabe diesbezüglicher Informationen an die USA für die Spionagevorwürfe herhalten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen