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Schwerer Abschied vom Kalten Krieg

Neue offizielle Studie zur US-Verteidigungsdoktrin: Pentagon redet von Kürzungen und Modernisierung der Armee, bleibt eine Reihe entscheidender Antworten aber schuldig  ■ Aus Washington Peter Tautfest

Das US-amerikanische Verteidigungsministerium hat am Montag den ersten QDR (Quadrenial Defense Review) vorgestellt, eine Generaluntersuchung der US- Streitkräfte, die ab jetzt alle vier Jahre Auskunft über Strategie und Personalstruktur sowie über den Stand der Modernisierung und der Verteidigungsinfrastruktur geben soll. Zentrale Aussage des aktuellen Reports: Der Militärapparat der USA ist zu groß, zu schwerfällig, zu bürokratisch und zu teuer. Er muß verkleinert werden, wenn er seine strategischen Ziele erreichen und seine Modernisierung vorantreiben will.

Um 60.000 aktive Soldaten und 50.000 Reservisten sollen die vier Waffengattungen verkleinert werden, 62.000 Männer und Frauen des Zivilpersonals sollen entlassen werden. Außerdem sollen weitere Militärbasen geschlossen und Beschaffungsprogramme gekürzt werden. Insgesamt soll der Verteidigungshaushalt auf 15 Prozent der öffentlichen Ausgaben festgeschrieben werden, der Anteil am Bruttoinlandsprodukt soll sogar von 3,2 auf 3 Prozent sinken.

In dem Bericht steckt Sprengstoff. Denn Militärbasen und Rüstungsaufträge bedeuten Bundesmittel, Arbeitsplätze und Stimmen. Militärbasen spielen im parteipolitischen Kleinkrieg Amerikas eine entscheidende Rolle, jeder Senator, der wiedergewählt werden will, muß die Schließung von Kasernen und den Entzug von Rüstungsaufträgen verhindern. Selbst Präsident Clinton geriet 1996 in den Verdacht, die Schließung von Stützpunkten in Kalifornien zu verzögern, weil er die Wählerstimmen dieses Bundesstaats brauchte.

Verteidigungsminister Cohen, der die Generalinventur im Pentagon am Montag vorstellte, wird auf dem Capitol einen schweren Stand haben. Nach seiner Auffassung haben die Abgeordneten die Wahl: Wollen sie Einrichtungen erhalten oder die Streitkräfte modernisieren? Der QDR will den „administrativen Schwanz zugunsten der militärischen Zähne“ kappen. Von den angestrebten Einsparungen in Höhe von zwölf Milliarden Dollar sollen nur drei Milliarden aus Schließungen, sieben Milliarden aber aus der Reorganisation der Verwaltung und Infrastruktur kommen.

Der QDR ist der dritte Anlauf, Aufgaben und Ausstattung der US-Armee nach dem Ende des Kalten Kriegs neuzudefinieren. „Base Force“ war das Ergebnis einer noch unter George Bush vorgenommenen Generalinventur, „Bottom Up“ hieß der von Clinton in Auftrag gegebene Kassensturz. Die Öffentlichkeit ließen beide Studien unbefriedigt. Die Doktrin des Kalten Krieges schien von einer neuen abgelöst worden zu sein, die jedes Denken in neuen Bahnen erstickte: vom Auftrag, zwei lokale Kriege gleichzeitig führen zu können. Zu deutlich waren in diesem Auftrag die Situation Korea und Irak gleichsam als auf alle Zeiten gültiges strategisches Ziel festgeschrieben. Unbeantwortet blieben dabei all jene Fragen, die durch neuere technische und politische Entwicklungen aufgeworfen wurden: Wie wirken sich Digitalisierung und die Revolution der Informationstechnologie auf die Armee- und Kriegführung aus, wie ist die Armee auf Einsätze neuen Typs wie Friedens- und Hilfsmissionen vorbereitet, und wie kann die Riesenbürokratie des Pentagon modernisiert werden.

QDR gibt letztlich keine Antwort auf diese Fragen, sondern versucht sich im Sowohl-Als-auch: Die Doktrin der beiden Kleinkriege wird erhalten und zugleich eine Modernisierung versprochen, für deren Finanzierung geringfügige Kürzungen gemacht werden. Kritiker haben sich schon zu Wort gemeldet: Der QDR entfaltet seine Stärken eher da, wo von der Hardware neuer Waffen als von der Software effizienterer Organisation die Rede ist, sagen die einen. Von Salamitaktik und Modernisierungshokuspokus sprechen die anderen.

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