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Waigel bald reif fürs Guinnessbuch

■ Bund, Ländern und Gemeinden fehlen 173 Milliarden Mark für 1999. SPD: Steuerreform wird unrealistisch

Berlin (taz) – Bund, Ländern und Gemeinden werden im Jahr 1999 rund 173 Milliarden Mark in ihren Haushalten fehlen, wenn nicht schnell etwas unternommen wird. Diese Zahl präsentierte der finanzpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Joachim Poß, gestern in Bonn. Zum ohnehin für das Jahr 1999 geplanten Defizit von 85 Milliarden kommen nach der letzten Steuerschätzung riesige Ausfälle bei den Einnahmen und zusätzliche Verluste durch die geplante große Steuerreform.

In Waigels Finanzministerium werden die SPD-Zahlen nicht grundsätzlich bestritten. Allerdings seien die rechnerischen Defizite nicht mit Haushaltslöchern zu verwechseln. Haushaltslöcher gebe es für 1999 noch nicht, schließlich werde der Haushalt 1999 erst im kommenden Jahr aufgestellt. Außerdem sei es unredlich, heute noch die gültigen Zahlen der Finanzplanung aus dem Mai 1996 zu nutzen, wo doch jeder wisse, daß diese Zahlen überholt seien und der Finanzplanungsrat aus Bund, Ländern und Gemeinden am 25. Juni über neue Zahlen beraten werde. Man werde auf zusätzliche Defizite bei der Aufstellung des Haushaltes selbstverständlich reagieren, sagte ein Sprecher des Finanzministeriums.

Das wird dem Bundesfinanzminister schwerfallen. Das Horrordefizit hat die Bundesregierung nämlich im wesentlichen der eigenen Politik der vergangenen Monate zuzuschreiben. Mit notorisch zu optimistischen Einschätzungen über die künftige Wirtschaftsentwicklung und die Entwicklung des Arbeitsmarktes wurden die Lücken in den Haushalten verschleiert.

Erst die Steuerschätzung der vergangenen Woche machte dieser Vogel-Strauß- Politik ein Ende. Danach fehlen Bund, Ländern und Gemeinden in diesem Jahr zusätzlich 18 Milliarden, 1998 fehlen 31,5 Milliarden und 1999 sogar 32 Milliarden Mark. Und der jetzt vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung für die große Steuerreform sieht weitere Mindereinnahmen von 56 Milliarden für 1999 vor. SPD-Politiker Poß nannte das Reformkonzept „für Bund, Länder und Gemeinden nicht finanzierbar und daher völlig unrealistisch“.

Während man in der Unionsfraktion von einer großen Herausforderung sprach und einräumte, daß in den kommenden Wochen erhebliche zusätzliche Anstrengungen nötig sein würden, um aus der Finanzklemme herauszukommen, gab man sich beim Koalitionspartner FDP gestern noch gelassen. FDP-Chef Wolfgang Gerhardt war sich sicher, daß trotz der Milliardenlücken der Haushalt 1998 ohne jede Steuererhöhung realisiert werden wird. Drei Tage vor dem Wiesbadener Bundesparteitag der Liberalen sagte Gerhardt: „Dazu bedarf es gewaltiger Anstrengungen, ich halte es aber für möglich.“

Er stellt sich damit erneut indirekt gegen Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU), der höhere Steuern nicht ausschließen will. Differenzen zwischen Politikern von Union und FDP wurden erneut auch um die geplante Senkung des Solidarzuschlags deutlich. Während Gerhardt auf der Absenkung beharrt, verlangt Thüringens Ministerpräsident Bernhard Vogel (CDU), wegen der angespannten Haushaltslage darauf vorerst zu verzichten. „Wenn man sich das nicht leisten kann, soll man es auch nicht tun“, sagt Vogel. ten

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