■ Hamburger Radfahrer muß in den Knast: Uneinsichtiger Verkehrsteilnehmer
„Gegen den Betroffenen wird eine Erzwingungshaft von 4 Tagen angeordnet.“ Dieses Urteil des Amtsgerichts Hamburg vom August 1996 steht kurz vor seiner Vollstreckung – weil der Fahrradfahrer Helge M. nicht den Radweg benutzt hat.
Helge M. radelte auf der Straße, als er aus einem Polizeifahrzeug heraus aufgefordert wurde, gefälligst auf dem Radweg zu fahren. Der war allerdings „zu schmal und partiell zugeparkt“, so Helge M. „Seine Benutzung wäre deshalb gefährlich gewesen.“ Das sahen die Polizisten anders: Der Fahrradfahrer erhielt einen Bußgeldbescheid über 40 Mark. Helge M. zahlte jedoch nicht und muß nun damit rechnen, vier Tage im Knast verbringen zu müssen.
Das Urteil des Amtsgerichts hat die Hamburger Polizei in zwei Lager gespalten. Sind Radfahrer ernstzunehmende Verkehrsteilnehmer? Ja, sagen die einen und meinen, daß sich Radfahrer zu Recht benachteiligt fühlen, wenn sie in der Verkehrsplanung vergessen oder unsinnig behandelt werden. Die andere Gruppe stellt sich auf den Standpunkt, Radverkehrsplanung müsse sich vor allem an den Bedürfnissen von Kindern orientieren; die seien aus Sicherheitsgründen mit allen Mitteln beziehungsweise Absperrgittern von der Fahrbahn fernzuhalten – und was für Neunjährige gilt, muß auch von erwachsenen Fahrern verlangt werden.
Dabei ist durchaus bekannt, daß selbstbewußte Alltagsradler gegen diese Regelungen verstoßen, und sogenanntes „regelwidriges Verhalten“ wird auch gewöhnlich nicht geahndet. Wenn allerdings Fahrradfahrer nach eigenen Gesetzen durch den Verkehr rollen und dabei in einen Unfall verwickelt werden, verlieren sie ihren Versicherungsschutz.
Würde der Straßenverkehr wirklich nach den Bedürfnissen der Kinder ausgerichtet, so müßte zuerst die Geschwindigkeit des motorisierten Verkehrs reduziert werden – davon ist Hamburg weit entfernt. Die Geschwindigkeit auf Hauptverkehrsstraßen ist unantastbar. Und wo zum Beispiel Fußgänger regelmäßig eine Straße überqueren, wird nicht dies Bedürfnis erkannt und durch Überquerungshilfen befriedigt, sondern der Gehweg wird zur Fahrbahn hin mit Gittern versperrt. Nichtmotorisierte sind wie wilde Tiere in der Stadt: nur eingezäunt erträglich.
„Der Betroffene, der auch in der Hauptverhandlung einen völlig uneinsichtigen Eindruck hinterließ, hat offensichtlich um des schnelleren Fortkommens willen nicht der Aufforderung, den Rad-/ Gehweg zu benutzen, Folge geleistet“, sagt das Amtsgericht Hamburg im Urteil vom April 1995 in der Bußgeldsache. Daß der Radler auch in der Hauptverhandlung Sicherheitsbedenken gegen den gemeinsamen Geh- und Radweg äußerte, wurde ihm postwendend als Uneinsichtigkeit zur Last gelegt. Somit war natürlich „eine Geldbuße von 40 Mark erforderlich“.
Hamburgs Gerichte schicken nicht jeden ins Gefängnis. Urteile gegen Autofahrer, die ihre Autotür öffnen, um den herannahenden Radfahrer abzufangen, sind selten. Und oft genug kann die Polizei trotz bekanntem Kennzeichen und Personenbeschreibung den Kraftfahrer nicht mehr ausfindig machen, der beim Überholen die Pedale eines unverschalten Verkehrsteilnehmers streifte.
Bis die Gleichheit vor dem Gesetz im Straßenverkehr erreicht sein wird, wird es noch mehr Zeit brauchen als bis zum Herbst, wenn die StVO ein wenig der Realität angepaßt und radfahrerfreundlicher wird. Radwege, die nach den neuen, strengeren Anforderungen an Breite und Oberfläche kein Radwegschild mehr tragen dürfen, müssen nicht benutzt werden. Zu spät für Helge M. Ulf Dietze
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