Das Portrait: Die Lunge des Schöngeists
■ Yves Eigenrauch
Yves Eigenrauch liebt Philosophie und Schalke 04 Foto: Reuter
Ewald Lienen, Langhaariger mit Ziegenbart, galt jahrelang als Inbegriff des anderen Fußballers. Seinem Mitspieler Berti Vogts war er schon deshalb verdächtig, weil er sich Zeitung lesend im Mannschaftsbus absonderte, während die anderen Karten spielten. Daß Fußballer gar Bücher schreiben, war in der Blütezeit deutscher Balltreterkunst undenkbar, obwohl doch gerade die 70er Jahre mit Spielertypen wie Netzer und Overath als eine Art Geniephase angesehen wurden. Die meisten Genies des grünen Rasens hatten aber allenfalls mittlere Reife. Es fiel schon auf, wenn einer wie Jupp Nehls vom VfL Bochum Abitur vorweisen konnte.
Yves Eigenrauch (26), frischer Uefa-Cup-Sieger mit Schalke 04, betreibt seinen Sport in einer anderen Zeit. Als ostwestfälischer Beamtensohn hat er einen Fotoband mit dem Titel „Zwischendurch“ herausgegeben, dessen Erlös einer Behindertenschule zukam. Derlei Sonderungswille verpflichtet noch immer dazu, den Typ des anderen Fußballers abzugeben. Dabei sieht er gar nicht so aus. Den Mund weit aufgerissen, als könnte man für lange Flügelläufe nie genug Luft bekommen, ist er ein Rackerer, ein Wadenbeißer, immer hart zu sich selbst und auch gegen andere, eher den Schwarzenbecks des Sports verwandt als beckenbauerischen Ästhetisierern. Der Name sagt schon alles: Yves Eigenrauch, das ist eine seltsame Mischung aus alten Tugenden plus Individualisierung. Und so spricht er denn auch. Ein Prise Bedenkenträgertum zum Beispiel. Er frage sich manchmal, ob man überhaupt Kinder in die Welt setzen sollte. Nein, nicht wegen Kriegsgefahr und Atommülltransport, sondern weil es immer noch Männer gibt, die an Bäume pinkeln. Yves Eigenrauch ist ein Kind der ironischen Generation. Und eines in die Alltagskultur herabgesunkenen „anything goes“. Eigenrauch findet die Grundzüge des Marxismus in Ordnung, aber auch die Wirtschaftspolitik der CDU. Nicht Yuppie, nicht Revoluzzer. Eigenrauch eben. Das ist denn auch der eigentliche Erfolg von Schalke in Zeiten wirtschaftlicher Rezession. Kein wichtiger Sieg für die Region, keiner für den Standort Deutschland, sondern einer für die soziale Mischung des europäischen Fußballgeschäfts. Alle Typen kommen vor, und die besonderen mögen wir am liebsten. Harry Nutt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen