piwik no script img

Das Familiengericht tagt, die Moral gähnt

■ „Vaterliebe“unter der Regie von Wolf Seesemann am Ernst-Deutsch-Theater

Ein Kriminalstück über sexuellen Kindesmißbrauch endet als Moritat über Schuld und Sühne. Als Psychogramm einer desolaten Familie angelegt, franst das Stück Vaterliebe, das am Donnerstag unter der Regie von Wolf Seesemann am Ernst-Deutsch-Theater uraufgeführt wurde, in ein theatralisches Lehrstück über Rache und Selbstjustiz aus.

Das Familiengericht tagt. Angeklagter ist der Vater Klaus Kantor (H. D. Trayer), ein erfolgreicher Politiker, der seine 14jährige Tochter Sabine geschwängert und in den Selbstmord getrieben haben soll. Das jedenfalls behaupten seine Stieftochter Hannah Wohlzogen (Anna Stieblich) und seine Ehefrau Edith (Claudia Amm). Sie werfen ihm vor, Sabine bereits vor sieben Jahren getötet zu haben, als er sie mehrfach sexuell mißbraucht hatte. Doch Kantor streitet ab. Vielmehr hätten Frau und Stieftochter das Kind vernachlässigt und in die Arme einer obskuren christlichen Sekte getrieben.

Stoff genug für eine Familienstudie. Doch statt Machtstrukturen und Beziehungsgeflechte langsam offenzulegen, kommt die Moral ins Spiel.

Wer die beiden weiblichen Racheengel in die Schranken der Justiz und, als die versagen, an das christliche Fegefeuer verweist, das ist Kommissar Franz Markowitz. Günter Lamprecht, der die Rolle des Markowitz schon mehrfach als Tatort-Kommissar im Fernsehen gespielt hat, mag auf der Bühne nicht so recht überzeugen, wirkt aber als durchtriebener Schnüffler noch am stimmigsten von allen Personen. Die Stieftochter gerät Anna Stieblich zur Karikatur einer verbiesterten Sozialarbeiterin, die Verzweiflung der Mutter spielt Claudia Amm in merkwürdiger Gefaßtheit, und H. D. Trayer findet als Vater zwischen Steifheit und Theatralik keine subtileren Nuancen.

Immerhin ist das Stück im ersten Teil noch spannend. Doch wenn Gut und Böse allzu klar sortiert sind, geht auch jede Spannung flöten. Was bleibt, ist der unangenehme Eindruck, daß ein Modethema nur als Aufhänger für eine Moritat mißbraucht wurde.

Karin Liebe

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen