piwik no script img

Ketten, Fesseln, Erektionen

Erinnern mit Gefühl und Härte: Im Künstlerhaus Bethanien werden Fotos aus dem Nachlaß des 1993 an Aids verstorbenen Jürgen Baldiga gezeigt  ■ Von Harald Fricke

Die Kunst-Werke an der Auguststraße konnten mit den Arbeiten nichts anfangen. Jürgen Baldigas Fotografien paßten angeblich nicht ins Konzept des „Instituts für Kunst und Theorie“. Im Künstlerhaus Bethanien (und auch bei der Stiftung Klassenlotterie) stießen Ullman M. Hakert und Aron Neubert auf mehr Gegenliebe: Jetzt werden rund 300 Fotos aus dem Nachlaß des 1993 an Aids verstorbenen Künstlers – von einem umfangreichen Katalog begleitet – im Studio I gezeigt.

Trotz der knallig rot, orange und stahlblau gestrichenen Kabinette erinnern die schwarzweißen Abzüge ans schwermütige Berlin der frühen 80er Jahre, als Anti- Haig-Demo und Lederkerle, Homo, Boheme und Punk noch zusammengingen. Es ist jene Kombination aus Gefühl und Härte, die sich heute irgendwie elend anhört – wohl auch, weil die Verhältnisse jede Wut befriedet haben. Etwas verlegen sprach Hakert zur Eröffnung darüber, wie wenig Baldiga an einer Musealisierung interessiert war. Er selbst arbeitet seit geraumer Zeit für Joachimides' Zeitgeist-Gesellschaft. Aber auch von den neuen Bewegungen um Kunst-, Club- und Polit-Diskurs war niemand im Publikum. Dort kämpft man eher um Institutionen, für Künstlerschicksale ist weder Zeit noch Platz.

Jürgen Baldigas Neigung war genauso klar: Zielstrebig fotografierte er Tunten, Freunde und vor allem schwulen Sex. Ketten, Fesseln, Erektionen, und immer die toughen, traurigen Gesichter seiner Lover. Singles sitzen auf Gartenstühlen in kargen Ein-Zimmer- Wohnungen, im Hintergrund der Kachelofen. Man kann die Außentoilette ebenso erahnen wie den Becks-Vorrat oder die Duschkabine in der Küche. Tatsächlich hat der 1959 geborene Baldiga ein Gefühl für seine Zeit in Bildern festgehalten, dessen Echtheit tief in die Menschen eindringen konnte: „Das Porträt, das er von mir fertigte, ist so gelungen, daß ich mich täglich bemühe, ihm ähnlicher zu werden“, so der Schriftsteller Napoleon Seyfarth im Katalog.

Die Härte kam später. Die Versammlung der zumeist nackten Beaus erscheint wie eine Ahnengalerie nach dem Einbruch von Aids in die Community, den Seyfarth als einer der wenigen überlebt hat (auch der frühere taz- und zitty-Redakteur Tom Kuppinger, der sich schon vor drei Jahren vehement für die Retrospektive eingesetzt hat, ist im vergangenen Sommer gestorben). Sie wird nun von Baldigas Selbstbildnissen angeführt, die ihn stilisiert nach Caravaggio-Motiven zeigen.

Vielleicht ist dieser unbeugsame Narzißmus eine Schwäche der Arbeiten, die den schmollmündigen Baldiga wie einen dunklen Engel jenseits von Marc Almond und Edith Piaf driften läßt. Andererseits hat er ein wunderbares Auge für kleine, intime Szenen: Zwei Jungs auf dem Bett werden in sechs Miniaturen beim Liebesspiel mit Federn gezeigt. Leicht verwakkelt wie Inszenierungen von Anna und Bernhard Blume bleiben die Fotos ein sanfter Blick auf den Sex- Alltag in Bühnenform, zu dem die Nähe zum Tod niemals passen wird.

Bis 29. 6., Mi.–So. 14–19 Uhr, Künstlerhaus Bethanien, Mariannenplatz 2; Katalog, 200 S., 49 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen