: Datschen sind keine Kleingärten
■ Ost-West-Systemkampf auch bei den Gartenzwergen: Weil Datschen historisch gänzlich anders entstanden als die West-Kleingärten, müssen Ostler nun darunter leiden
Zweieinhalb Millionen „Datschen“ gab es 1990 auf dem Gebiet der DRR. Somit hatte rein rechnerisch, wenn man die vierköpfige Kleinfamilie zugrunde legt, weit mehr als die Hälfte der Bevölkerung „ihre“ Datsche. Ursprünglich stammt „Datsche“ aus dem Russischen und bezeichnet ein Landhaus für den Sommersitz. Im Osten bürgerte sich der Begriff nach 1945 schnell ein und wurde zu einem Wesensmerkmal der „Nischengesellschaft DDR“.
„Die durchschnittliche Datsche in der ehemaligen DDR umfaßt fast 1.000 Quadratmeter, und auf ihr steht oft ein kleiner Bungalow“, berichtet mit deutlicher Sehnsucht Rudi Böhm vom Präsidium des Verbands Deutscher Grundstücksnutzer. Da das Grund- und Bodenrecht in der DDR sehr viel unformaler und lockerer als im Westen gehandhabt wurde, war es relativ leicht, einen Einzelpachtvertrag mit dem zuständigen Rat der Gemeinde abzuschließen. Dieser beinhaltete ein Nutzungsrecht auf Lebenszeit und einen staatlich festgesetzten Pachtzins.
Die umgangssprachliche Bezeichnung „Datsche“ ist allerdings nicht sehr präzise. „In ganz Berlin gibt es im Augenblick etwa 83.300 Parzellen auf etwa 3.560 Hektar Land in sogenannten Kleingartenanlagen“, sagt die zuständige Sachbearbeiterin beim Senator für Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie, Liselotte Thoms, „die durch das Bundeskleingartengesetz geschützt sind.“ Dieses beinhaltet als wesentliche Rechte eine Pachtzinsbeschränkung und einen Kündigungsschutz, aber auch eine Verpflichtung zur kleingärtnerischen Nutzung und daß eine Laube nicht größer als 24 Quadratmeter sein darf. „Ein Erholungs- oder Wochenendgrundstück, umgangssprachlich eine Datsche, fällt nicht unter das Bundeskleingartengesetz“, führt sie weiter aus. Damit ist das Dilemma umrissen. Folge: „Deren Pachtpreis richte sich nach Marktlage.“Zahlmässige Erhebungen zu Datschen in Berlin gebe es von ihrer Seite nicht, da es sich um reine Privatverträge handle.
Im Gegensatz zu den Datschen haben Kleingartenanlagen eine andere historische Entwicklung. Da gab es einerseits 1819 die „Armengärten“ des Herzogs Karl von Hessen, die dieser als Statthalter von Schleswig und Holstein einführte. Andererseits wurde 1870 in Leipzig der erste Schrebergarten eröffnet, der sich aus einem sozialpädagogischen Ansatz für Kinder entwickelte. Dieser verbreitete sich dann ganz schnell über Europa. Doch als Hauptstrang sind die Laubenkolonien anzusehen, die aus der materiellen Not der Arbeiter als eine Art Selbsthilfe geboren wurde. Neben dem Anbau von Gemüse war auch die Frischluft im Grünen gegen die damals grassierende Tuberkulose die Motivation. Von der engen Verbundenheit mit der Arbeiterbewegung zeugen noch heute einige Namen wie „Eintracht“, „Solidarität“, „Feierabend“ oder „Frohsinn“. Viele Kolonien nannten sich nach dem Arbeitsplatz ihrer NutzerInnen, wie die Loewe-Siedlung oder die ganzen Eisenbahnergärten. Die Kleingärten waren, wie die Sportvereine, als soziales Milieu immer auch Rückzugsort gegenüber politischen Herrschaftsansprüchen. „Die Nazis brauchten bis 1937, um die Berliner Kleingartensiedlungen unter Kontrolle zu bekommen, davor wurde die SA wiederholt aus ihnen vertrieben“, berichtet der Vorsitzende des Berliner Landesverbands der Deutschen Gartenfreunde, Jürgen Hurt. Im Augenblick werde über diese Geschichten am Beispiel Lichtenberg eine Dokumentation erstellt. So überlebte der spätere Showmaster Hans Rosenthal als jüdisches Kind, von zwei Frauen in einer Kleingartensiedlung von 1943 bis 1945 versteckt, den Holocaust. Christoph Villinger
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