: Ewiger Frühling
Als Frauen in den Orient reisten, verbreiteten sie liebevoll die Klischees, zum Beispiel vom Harem ■ Von Werner Trapp
Als geradezu abwegig erschien noch im letzten Jahrhundert der Gedanke, eine Frau könne allein den Orient bereisen. Sah man Reisen von Frauen im bürgerlichen Zeitalter ohnehin als Bruch mit „weiblicher Natur“, so galt der Orient darüber hinaus als geheimnisvolles und gefährliches Terrain, eine Terra incognita, die männliche Phantasie zudem zu ihrer exklusiven Domäne erklärt hatte: Hier suchte der bürgerliche Mann in Gedanken, was die industrielle Zivilisation rigoros domestiziert hatte – „freizügige Sexualität, hingebungsvolle, sinnliche, gefügige Weiblichkeit“.
Doch schon um 1800 setzten sich schreibende Frauen über Tabus und Schicklichkeitsregeln hinweg und begannen, den Orient auf eigene Faust zu erkunden. Eine Medienwissenschaftlerin und eine Soziologin haben die Spuren von mehr als zwanzig dieser reisenden Frauen verfolgt und dabei fast völlig in Vergessenheit geratene Reisejournale und Reisetagebücher ausgegraben. Ein Ergebnis: Im Unterschied zu ihren männlichen Konkurrenten verzichteten Frauen meist darauf, ihre Texte mit einem politisch-historischen Bildungsanspruch zu befrachten, und übten sich statt dessen in „weiblicher Bescheidenheit“, in der Beschränkung auf den Umkreis „typisch weiblicher Lebenserfahrung“. Gerade solche weibliche Blickfeldverengung aber – so eine These – garantierte den massenhaften Absatz ihrer literarischen Produkte, war sie doch bestens geeignet, jene Klischees von „Orient“ hervorzubringen, nach denen das heimische Publikum verlangte.
Ein schönes Beispiel dafür bietet Ägypten, das nach 1850 rasch zum modischen Reiseziel einer europäischen Hautevolee avancierte, die zwischen Wüstensand und Nilesstrand Heilung von ihren Gebrechen suchte. „Hier allein gibt es wirklich ewigen Frühling!“ schwärmte die preußische Offizierstochter Valeska Bolgiani, kaum daß sie 1867 in Alexandria gelandet war. Von ihrem „Hotel de l'Oriente“ aus betrachtete sie die „Bewegungen, die Grandezza, die Haltung dieser von der modernen Cultur gänzlich unbeleckten Völker“ – und übersah dabei geflissentlich die schon in nächster Nähe ins Auge springenden Zeugnisse westlich-europäischer Kulturdominanz. Auch Archäologie und Ägyptologie trugen zu dieser Dominanz bei und verwandelten das Land in einen „Steinbruch, aus welchem so ziemlich alles, was sich an Relikten der uralten Kultur abtransportieren ließ, nach Europa verfrachtet wurde“.
„Je weniger sich aber die Anzeichen für solche Präsenz westlicher „Kultur“ übersehen ließen, desto mehr wuchs offenbar das Bedürfnis nach schreibender Verklärung des Orients zur zeitlos-pittoresken Kulisse. Von der Terrasse des „Shepheards Hotel“ in Kairo, einer „unvergleichlich luxuriösen Oase“, eröffnete sich der begehrte „orientalische Bilderbogen“. Hier, wo die Gäste durch französische Köche und Schweizer Zimmermädchen verwöhnt wurden, konnten europäische Reisende, perfekt abgeschirmt durch schwarze Portiers, „das lustige Leben der Kutscher und Eseltreiber bestaunen und dabei gleichzeitig beschaulich an einem Drink nippen“.
Doch solch verklärender Blick auf orientalischen Kulissenzauber brach sich immer häufiger an einer Gegenwart, in der für Orient-Idyllen kein Platz mehr war: Vehement klagte die deutsche Frauenrechtlerin Käthe Schirmacher, die im Winter 1894/95 in Ägypten weilte, über die „poesielosen Engländer, die das banalste Touristentum einschleppen und, alles verbädeckernd, den feinen exotischen Geschmack, der sich in unserer Seele bilden wollte, wie Glas zerbrechen“. Auch die „von moderner Cultur gänzlich unbeleckten“ Einheimischen suchte frau bald vergebens. Allenthalben war schon um 1870 auf den Straßen Kairos das „Carriage, Lady?“ der Kutscher oder das „Want a ride, Sir?“ der Eseltreiber zu hören. Der Deutschen Louise Mühlbach wurde gar mit einem wild gestikulierenden „Madama! Nehmen meinen Esel! Gut Esel! Berliner Esel! Bismarck Esel!“ Fahrgelegenheit offeriert.
Die Beschleunigung und Verbilligung des Reisens durch neue Verkehrsmittel wie Dampfschiff und Eisenbahn taten ein übriges, den noch von Naturgewalten abhängigen älteren Formen des Reisens buchstäblich „den Wind aus den Segeln“ zu nehmen. Am 12. August 1888 fuhr zum ersten Mal der legendäre Orient-Express in Konstantinopel ein. Mathilde Weber, die aktive Frauenrechtlerin („Durch Griechenland nach Konstantinopel“, 1891), buchte ihren Orient-Trip bereits als „Gesellschaftsreise“ – die 103., die der Berliner Reiseunternehmer Karl Stangen unters Volk gebracht hatte.
Hatten Frauen aus Europa bis dato ihr Privileg, die Männern absolut verschlossene Welt des Harems betreten zu dürfen, auch literarisch weidlich ausgeschlachtet, so drohte der Exklusivität weiblicher Berichte über das Morgenland schon bald Konkurrenz: Erstmals 1874 hatte Carl Hagenbeck dem heimischen Publikum eine „Orientreise in zwei Stunden“ angeboten – eine „Völkerschau“, in der neben „original importierten Tieren, Zelten und Kochgeschirr“ auch „echte Türken und Araber“ feilgeboten wurden. Für ganze 50 Pfennig war der „begehbare Harem für jedermann“ nunmehr zu Hause zu haben – als eine volkstümliche Attraktion.
A Deeken, M. Bösel: „An den süßen Wassern Asiens“. Frauenreisen in den Orient. Campus-Verlag Frankfurt/New York, 48 DM.
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