■ Autos sind umweltschädlich, töten Menschen, stehen im Stau. Trotzdem sind sie scheinbar resistent gegen jede Kritik
: Fünf Naivitäten der Autokritik

Seit Jahrzehnten – spätestens seit der Ölkrise 1973 – verstehen und kritisieren wir das Auto. Kluge Leute analysieren den Straßenverkehr in klugen Reden, kritischen Beiträgen, aufrüttelnden Aufrufen. Die Probleme sind längst bekannt: Autos sind umweltschädlich, verbrauchen wertvolle Ressourcen, töten Menschen, stehen im Stau. Details zu nennen ist unnötig: Jeder Grundschüler weiß, daß 10.000 Deutsche jährlich auf den Straßen sterben – und das Auto boomt weiter, ungebrochen. Wachstumsprognosen werden regelmäßig übertroffen, während die Autokritik floriert.

Sie ist ein bemerkenswert erfolgloses Unternehmen – das Auto hat gesiegt. Das muß erklärt werden. Warum nützt die wohlbegründete Kritik so wenig; warum sind auch marginale Eingriffe in den Straßenverkehr so unpopulär? Mein Verdacht ist, daß die akademisch argumentierende Autokritik bis heute die wahren Attraktionen des Autos nicht verstehen will, beiseite wischt, abwertet oder unterschätzt. Die Autokritik blendet aus, was das Auto eigentlich ist und bedeutet. Deshalb ist sie naiv.

Naivität 1: Das Auto ist ein Verkehrsmittel. Wer Autos vor allem als Mittel des Transports von Menschen und Gütern von A nach B begreift, unterschätzt ihre Rolle als Spaßmaschinen, als Besitz-, Sucht-, Technik- und Designobjekte – kurz, als irrationale, faszinierende Gefährte. Die Verkehrswissenschaftler tun diese Rollen gerne als „sekundäre Funktionen“ ab, die zur „eigentlichen“, der „primären“, hinzukommen. Das ist Unsinn. Längst dominieren in den vollmotorisierten Gesellschaften die sekundären Funktionen. Die Mehrzahl aller Autofahrten in Deutschland erfolgen zum Vergnügen. „Irrationale“ Fahrzeuge wie „Spaßautos“, Cabrios, Offroader, Oldtimer, Motorräder boomen. Wären Autos Transportmittel, sähen sie anders aus: viel schwächer motorisiert, Lada-ähnlicher, glamourloser. Doch die „Rennreiselimousine“ (Andreas Knie) ist das faszinierendste und teuerste Familienbesitztum. Und es wird zunehmend mit einer „Ich will Spaß“-Haltung, mit fröhlicher Aggression gefahren. Autos transportieren nicht nur Menschen, sondern auch Obsessionen.

Sicher – in unserem Bekanntenkreis ist das anders: Man fährt vernünftige Autos auf vernünftige Weise – mindestens bekundet man es, vor allem als Frau. Spaß am Fahren und am Autobesitz ist zweifelsfrei proll und macho. Mag sein. Doch 40 Millionen Kraftfahrzeuge – bei besserer Konjunktur wären es mehr – wollen als Massenbewegung ernst genommen werden. Man kann sich natürlich bequem darauf zurückziehen, daß die Autofahrer von der allmächtigen Industrie verführt werden. Doch das scheint wenig produktiv. Zudem bedürfte diese so überaus erfolgreiche Verführung einer guten Erklärung.

Naivität 2: Verkehrsmittelwahl erfolgt durch rationale Entscheidungen. Falsch. Weil Autos eben keine Transportmittel sind, ist Autofahren auch klein bloßer Transportvorgang. Es kann lust-, auch gefahrlustbetont sein; „Autoflanieren“, Privatrennen, „Bewegungsfahrten“, Ausflüge sind keine „nötigen“ Transporte, die nach Kosten-Nutzen-Abwägungen erfolgen, abhängig von Verfügbarkeit und Preis. Es sind vielmehr Freizeitaktivitäten, Lust, nicht Transport. Und dafür wählt man möglichst einen Privat- und Intimraum: Das Auto ist ein beweglicher, behaglicher Innenraum, eine Projektion der eigenen Körpermacht, eine selbstbestimmte Bewegung, die durch den kraftvollen Verbrennungsmotor ins Allmächtige übersetzt wird – und das soll rational gekippt werden?

Naivität 3: Kleinere, sparsamere, Autos lösen Verkehrsprobleme. Ein Irrtum, der auf der Unkenntnis über das Kauf- und Betreiberverhalten in einer voll- und übermotorisierten Gesellschaft fußt: Bietet die Industrie solche Fahrzeuge an, so ersetzen sie die bestehenden spritfressenden Modelle nicht, sondern ergänzen sie: „Sparautos“ besetzen die letzten Nischen des Marktes, vermehren die Autoflut und parken die Städte noch weiter zu, weil sie als Zweit- oder Drittwagen gefahren werden. So verschärfen sie das Problem.

Naivität 4: Eine neue Verkehrspolitik bringt die Verkehrswende. Eine Illusion. Mal abgesehen davon, daß eine autofreundliche Politik – trotz aller autokritischer Rhetorik – auf einen klammheimlichen, aber äußerst breiten Konsens der autofreundlichen Wähler bauen kann, ist die reale Einflußmöglichkeit von Verkehrspolitik recht gering. Eine reichsbahnfreundliche, gegen das Auto gerichtete Politik hat in den zwanziger Jahren nicht unbedingt hemmend gewirkt; auf der anderen Seite hat das beispiellose Motorisierungs- und Straßenbauprogramm der Nazis den Motorisierungsgrad der Nation nicht unbedingt stärker erhöht. Wenn nur der ökonomische Rahmen stimmte, kaufte man begeistert die Wunschmaschine Auto. Die Sehnsucht der Käufer überlagerte immer die Verkehrspolitik. In unserem Jahrhundert war der individuelle Mobilitätsdrang (mit den Komponenten Motor, Privatheit) immer ein sozialer Selbstläufer. Das System Straßenverkehr federt Eingriffsversuche locker ab. Zudem: Autokritiker werden nicht gewählt.

Naivität 5: Der Massenstau führt zum Umsteigen. Der Problemdruck von kilometerlangen Massenstaus mag hoch sein – aber er ist nicht hoch genug. Im technoiden Privatraum ist durchaus gut stehen, telefonieren, nasebohren. Längst denkt auch die Industrie über das Stauauto nach, das Kühlschrank und Medien integriert hat und drehbare Sitze, um die stauende Kleinfamilie im trauten Kreise zu vereinen. Eine Trivialität: Die massenhafte Erfüllung des Mobilitätstraums ist im Stau versackt – doch ohne größere Folgen. Schon die bloße Möglichkeit, den Mobilitätsdrang erfüllen zu können, scheint zu reichen. Auch im Stau meint man, eigentlich, normalerweise, seine 110 KaWe ausfahren zu können. Doch der Normalfall Stau scheint immer noch die Ausnahme: Hinterm Horizont geht's weiter. Die Verkehrsteilnehmer haben sich an ein hohes Niveau der Ineffizienz gewöhnt.

Hinter allen Naivitäten der Autokritik steckt die Fundamental- Doppelillusion der prinzipiell rationalen Verfaßtheit des Autos und der prinzipiellen rationalen Lösbarkeit aller Verkehrsprobleme. Daß sich das Auto gegen Aufklärung sperrt, wie Sloterdijk bemerkt hat, hat sich bei den Autokritikern noch nicht herumgesprochen. Bei den Autoliebhabern durchaus. Autofaszination ist ein Teil unserer eigenen Gefühlsgeschichte. Wir dürfen sie nicht wegschieben. Wir müssen sie begreifen. Kurt Möser