: Ende eines niveaulosen Wahlkampfs
Die Franzosen sind immer mehr angeekelt von den Machenschaften ihrer Politiker – und als solche sehen sie auch die Parlamentsauflösung, die zu den morgigen Neuwahlen geführt hat ■ Aus Paris Dorothea Hahn
Der voraussichtlich letzte französische Parlamentswahlkampf dieses Jahrhunderts ging gestern zu Ende, wie er vier Wochen vorher begonnen hatte: ohne politisches Niveau. Statt um die großen Projekte, die Staatspräsident Jacques Chirac als Begründung für die Auflösung der Nationalversammlung vorgeschoben hatte, flehten die Sprecher aller Parteien die Wähler an, überhaupt an die Urne zu kommen. Die Stimm-Enthalter und Ungültig-Wähler werden morgen vermutlich die größte Formation stellen. Wie die voraussichtlich Millionen von Protestwählern, die den ersten Durchgang nutzen werden, um den traditionellen Parteien eins auszuwischen, sind sie angeekelt von den Politikern und ihren „Machenschaften“, wozu die meisten Franzosen auch diese vorgezogene und kurzfristig organisierte Wahl zählen.
Die angekündigte Debatte über die europäische Einheitswährung hat nicht stattgefunden. Die Opposition, die sowohl sozialistischer- als auch kommunistischerseits immerhin politische Programme vorlegte, blieb in diesem zentralen außenpolitischen Punkt konturlos. Die PS bestätigte ihr „Ja“ zu dem von den Sozialisten Mitterrand und Delors vorbereiteten Euro, entkräftigte es jedoch mit einem eindeutigen „Aber“. Sie will zusätzliche Konvergenzkriterien für ein soziales Europa und für eine Beteiligung Italiens und Spaniens am Übergang in die Währungsunion einführen. Die KPF hingegen ist weiterhin gegen den Euro und das „Diktat aus Frankfurt“ und behält auch ihre Forderung nach einem Euro-Referendum bei. Im Prinzip. In der Praxis des Wahlkampfs verdrängte die KPF das für ihre gemeinsame Erklärung mit der PS heikle Euro-Thema, das noch im April ihr Hauptanliegen war, in den Hintergrund.
Wie eine Regierungszusammenarbeit zwischen den euro- divergenten Sozialisten und Kommunisten aussehen soll, ist sämtlichen Akteuren ein Rätsel. Der sozialistische Parteichef Lionel Jospin geht wie selbstverständlich von der Unterordnung der Kommunisten unter die stärkeren Sozialisten aus. Der sozialistische Expremierminister Michel Rocard beschreibt die Zusammenarbeit ganz zynisch: „Entweder die Kommunisten passen sich unserer Europapolitik an – schließlich werden wir die stärkste Partei sein –, oder sie sind verantwortlich dafür, daß weiter die Rechte regiert.“
Der kommunistische Parteichef Robert Hue seinerseits setzt auf Diskussion und „Pluralität“ in einer linken Regierung. Hue, der den Begriff „Mutation“ an die Stelle von „Revolution“ gesetzt hat, stößt mit derlei Gerede auch innerparteilich auf Widerstand. „Wir haben uns 1981 einmal von den Sozialisten verarschen lassen“, sagt Exparteichef Georges Marchais, „warum sollten wir das wieder tun?“
Es ist im übrigen nicht besonders wahrscheinlich, daß Sozialisten und Kommunisten ihre Fähigkeit zur Zusammenarbeit beweisen müssen. Das bestätigen alle bisherigen Meinungsumfragen, auch die letzte, die gestern im Schweizer Asyl in der Tribune de Genève erscheinen mußte, weil in Frankreich in der letzten Woche vor den Wahlen keine Meinungsumfragen mehr veröffentlicht werden dürfen –, ergibt zwar einen knappen prozentualen Vorsprung für PS und KPF mit 38 Prozent gegenüber 37,5 Prozent für UDF und RPR vorn, doch hätten die Konservativen trotzdem immer noch knapp 50 Sitze mehr in der künftigen Nationalversammlung als die Linken (siehe Kasten).
Unsichtbar blieb im Wahlkampf auch der von Chirac angekündigte „neue Elan“. Unklar blieb nicht nur die Außen-, sondern auch die künftige Innenpolitik einer konservativen Regierung. Im Hintergrund verschwanden die 30 Prozent Quotenfrauen auf der Kandidatenliste der Sozialisten. Und selbst die für die Parlamentsauflösung mitentscheidenden anstehenden Ermittlungsverfahren gegen zwei Mitglieder der bisherigen Regierung sowie die zahlreichen anderen Korruptionsfälle bei Konservativen und Sozialisten, spielten im Wahlkampf nur eine untergeordnete Rolle.
Die Franzosen verstanden. Und gingen meist gar nicht erst hin, wenn irgend ein Politiker sie zu Wahlkampfveranstaltungen rief. Den Ruf der Soziologen: „Die Menschen wollen neue gesellschaftliche Modelle und Visionen“ beachteten weder Konservative noch Linke. Statt dessen schlugen sie Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (PS) vor, deren Finanzierung unklar blieb, oder versprachen Steuersenkungen (RPR/UDF), an die niemand glaubt.
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