: Für die Brüderlichkeit von Kurden und Türken
■ Leyla Zana, kurdische Abgeordnete der verbotenen Demokratischen Partei in der Türkei, ist seit 1994 in Haft. Ein Buch präsentiert ihre Briefe aus dem Gefängnis
„Was haben wir verbrochen, um so bestraft zu werden? Nur eines: Wir haben Zeugnis abgelegt und das Ausmaß der Tragödie des kurdischen Volkes in der Türkei an die Öffentlichkeit gebracht.“
Leyla Zana ist weit über die Grenzen der Türkei hinaus bekannt geworden, weil sie immer wieder eine friedliche Lösung der kurdischen Frage in der Türkei und Kurdistan eingefordert hat. Sie wurde wegen solcher Sätze bestraft, gefangengenommen, gefoltert und schließlich in einem Schauprozeß vor dem Militärgericht zu 15 Jahren Haft verurteilt. Ihr Buch sind Briefe und Schriften aus dem Gefängnis.
Leyla Zana, 34 Jahre und Mutter von zwei Kindern, ist eine wichtige Symbolfigur, nicht nur für den Befreiungskampf des kurdischen Volkes, sondern auch für die sich politisierenden kurdischen Frauen. Entgegen dem traditionellen Frauenbild erzwingen sie nun, bei den gesellschaftlichen Umwälzungen und Umstrukturierungen ihren Platz einzunehmen.
Zana wurde 1961 in einem Dorf bie Diyarbakir in Nordkurdistan geboren. Die gesellschaftlichen Verhältnisse waren rückständig, der Islam durchwirkte alle Lebensbereiche. Es war verboten, daß sich eine Frau mit einem Mann zusammensetzt oder ihr Haar offen trägt. Die Religion hält die Frauen von den „schönen Seiten“ des Lebens fern, meinte Leyla schon als junges Mädchen. „Ich wehre mich und habe immer den Gedanken im Hinterkopf: Warum kommt der Mann, wenn er frei herumläuft, im Gegensatz zu mir nicht in die Hölle.“
Unter den 450 Parlamentsabgeordneten gab es nur 8 (!) Frauen, unter ihnen eine einzige Kurdin. Leyla Zana ist die erste Kurdin, die 1991 in das türkische Parlament gewählt wurde.
Die Abgeordnete der Demokratischen Partei (DEP), die später vom Verfassungsgericht verboten wurde, setzte sich immer für ihr Volk ein, wohl wissend, daß es in der Türkei sogar für die Abgeordneten keine Sicherheit gibt. Vor allem dann nicht, wenn sie häufig in ihre kurdischen Heimatgebiete reisten, die seit Jahren durch die türkische Armee terrorisiert werden. Tatsächlich wurde Leyla im März 1994 aus dem Parlament heraus verhaftet.
Leyla wurde unter anderem ihr Auftreten bei der parlamentarischen Vereidigung vorgeworfen. Der üblichen Formel hatte sie in kurdischer Sprache hinzugesetzt: „Für die Brüderlichkeit des türkischen und kurdischen Volkes.“ Nach Ansicht ihrer Ankläger war das Separatismus, ein Verbrechen gegen den türkischen Staat. Danielle Mitterrand sagte: „Vergeßt die Kurden nicht! Schweigen tötet!“ Leyla schrieb an Frau Mitterrand: „Meine liebe verehrte Mutter, gerade habe ich Ihren dritten Brief erhalten. Ich habe mich so darüber gefreut. Daß Sie die Zeit im Gefängnis mit mir teilen, gibt mir viel Kraft.“
Ihr kürzlich erschienenes Buch berichtet über das Schicksal und den Alltag von 16 Millionen Kurden in der Türkei. Es erzählt von Menschenrechtsverletzungen, Verhaftungen, Folter, Vertreibungen, Deportationen und dem gewaltsamen Tod. „Die Freiheit“, meinte Leyla Zana, „hat ihren Preis.“ Sie ist bereit, ihn zu zahlen. Kambiz Behbahani
Leyla Zana: „Eine Kurdin meldet sich zu Wort. Briefe und Schriften aus dem Gefängnis“, Montage Vlg. Dötlingen 1996, 122 S., 24 DM
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