piwik no script img

Seligsprechung eines polnischen Antisemiten?

Der frühere Primas von Polen, Kardinal Hlond, soll seliggesprochen werden. Dabei ruhen die Hoffnungen auf Papst Johannes Paul II., der Ende Mai Polen besucht. Doch Hlond ist umstritten – wegen antisemitischer Predigten  ■ Aus Warschau Gabriele Lesser

„Die jüdische Frage existiert, und es wird sie so lange geben, als die Juden Juden bleiben. Es ist eine Tatsache, daß die Juden gegen die katholische Kirche kämpfen, sie sind Freidenker und stellen die Vorhut des Atheismus, Bolschewismus und der Revolution dar. Es ist eine Tatsache, daß der jüdische Einfluß auf die Moral fatal ist – jüdische Verleger verbreiten pornographische Literatur. Es ist wahr, daß die Juden betrügen, wuchern und mit Menschen handeln. Es ist wahr, daß in den Schulen die jüdische Jugend auf die katholische einen verderblichen Einfluß ausübt – sowohl in religiöser als auch in ethischer Hinsicht.“

Der Autor dieser Zeilen ist nicht irgend jemand, sondern ein potentieller Heiliger. Ein Mann, zu dem in naher Zukunft alle Katholiken beten dürfen – wenn er denn den Selig- und später den Heiligsprechungsprozeß übersteht. Sein Name: Kardinal August Hlond. Sein „Verdienst“: die moralische Stärkung der polnischen Nation in der Zwischenkriegszeit und die rasche Polonisierung der ehemaligen deutschen Ostgebiete nach dem Zweiten Weltkrieg.

Ende Mai wird Papst Johannes Paul II. zu einer zehntägigen Pilgerreise durch Polen erwartet. Und eigentlich, so hatten es die Salesianer-Mönche geplant, sollte in Gnesen ihr berühmter Mitbruder seliggesprochen werden. Der Primas der Katholischen Kirche in Polen, Kardinal Jozef Glemp, hat das diözesane Vorbereitungsverfahren am 21. Oktober 1996 feierlich abgeschlossen.

Jetzt wartet die Katholische Kirche in Polen nur noch auf die Entscheidung aus Rom. Daß Kardinal Hlond ein Antisemit war, stört die Katholische Kirche in Polen wenig. Da gibt es schließlich noch andere: Pater Maximilian Kolbe etwa, der eine antisemitische Tageszeitung herausgab, für einen Mithäftling in Auschwitz starb und im Jahre 1971 von Papst Paul VI. heiliggesprochen wurde. Und außerdem, so die Verteidiger des Kardinals, ist der Text gar nicht antisemitisch. Man müsse ihn im Kontext sehen. Der Kardinal habe Ende Februar 1936 den rassischen Antisemitismus, der aus Deutschland nach Polen schwappte, gegeißelt und zu Toleranz gegenüber den Juden aufgerufen.

Im Hirtenbrief „Über die katholischen Moralprinzipien“ liest sich das so: „Ich warne vor der aus dem Ausland importierten ethischen, prinzipiell und absolut antijüdischen Haltung. Sie verträgt sich nicht mit der katholischen Ethik. Es ist erlaubt, die eigene Nation mehr zu lieben; es ist nicht erlaubt zu hassen. Auch Juden nicht.“ Der Kardinal hält es auch für verträglich mit der christlichen Ethik, wenn Katholiken nicht mehr bei Juden kaufen. Jedoch – davor warnt er dann wieder – sollten die jüdischen Geschäfte „nicht verwüstet, die Scheiben nicht eingeschlagen und die Häuser nicht in Brand gesteckt werden“.

Hüten solle sich der Katholik allerdings vor den „schädlichen moralischen Einflüssen der Juden, vor ihrer antichristlichen Kultur und insbesondere vor ihrer demoralisierenden Presse“. Raubüberfälle auf Juden seien nicht gestattet, auch dürfe ein Katholik einen Juden nicht zum Krüppel schlagen oder ihn denunzieren. Immerhin sei der Erlöser aus diesem Volk hervorgegangen, und wenn ein Jude sich taufen lassen wolle, sollten die Katholiken ihn freundlich in die Arme schließen.

Wenn der Katholischen Kirche in Polen bei der Durchsicht aller Predigten und Texte des in Aussicht genommenen Heiligen nicht einmal auffällt, daß der Kardinal das Gebot „Liebe Deinen Nächsten“ nur im Sinne des „Töte ihn nicht“ versteht, kann das nur eines bedeuten: Die Haltung der Katholischen Kirche in Polen zu den Juden hat sich – trotz Holocaust – nicht verändert. Da haben offensichtlich auch die vielen Appelle des Papstes für Ökumene und Dialog mit Andersgläubigen nichts gefruchtet.

Der „Diener Gottes“, wie Hlond nach Abschluß des diözesanen Teils des Seligsprechungsprozesses genannt werden darf, hat aber auch unter Katholiken nicht nur Freunde. Insbesondere die vertriebenen Katholiken aus Schlesien haben den Kardinal in schlechter Erinnerung. Als in Deutschland bekannt wurde, daß die polnische katholische Kirche beabsichtigt, den Primas von Polen (1881–1948) zunächst selig- und dann heiligzusprechen, regte sich heftiger Widerstand.

Der Ton ist zum Teil unchristlich scharf: Von „Lüge“ ist die Rede, von vorsätzlicher „Täuschung“, von polnischem Chauvinismus. Die „Vertretung der vertriebenen Schlesier aus der Grafschaft Glatz“ (180.000 Vertriebene) hat eine Resolution gegen die Seligsprechung von Kardinal Hlond verfaßt. Darin heißt es: „Vielen Heimatvertriebenen ist noch deutlich in Erinnerung, daß Kardinal Hlond unter Vortäuschung angeblicher päpstlicher Vollmachten die deutschen Bischöfe, Weihbischöfe, Generalvikare und Domkapitel eigenmächtig aus ihren Ämtern vertrieben und noch im Jahre 1945 die Polonisierung dreier ostdeutscher Diözesen eingeleitet hat. Mit Wirkung vom 1. September 1945 setzte er polnische apostolische Administratoren für die deutschen Bistümer ein, und die katholischen deutschen Amts- und Würdenträger wurden unter zum Teil entwürdigenden Umständen ihrer Ämter enthoben.“

Als den noch in Schlesien verbliebenen deutschen Katholiken der Gottesdienst in deutscher Sprache verweigert wurde, habe Primas Hlond nichts dagegen unternommen. Das Verhalten Kardinal Hlonds schließt nach Ansicht der vertriebenen Schlesier eine „kirchliche Ehrung“ aus, ja sie werde von ihnen als ein „in hohem Maße provozierendes Vorhaben der Kirche“ gesehen. Die Resolution schließt mit einer vernichtenden Kritik an Hlond: „Wenn sich Selige und Heilige dieser Kirche durch hohe Sittlichkeit und einen vorbildlichen Lebenswandel auszeichnen, so sucht man bei Kardinal Hlond nach einigen christlichen Tugenden – wie Liebe, Verzeihen, Versöhnung – vergebens.

Auch die Deutsche Bischofskonferenz lehnt die Seligsprechung des Primas ab. Im Ton ist sie allerdings moderater. Die Bedenken der deutschen Seite sollten dem Apostolischen Stuhl zu Gehör gebracht werden, so heißt es in einem Schreiben vom 7. Juni 1996.

Daß der Primas tatsächlich eigenmächtig gehandelt und die deutschen Bischöfe ihres Amtes enthoben hatte, ohne eine entsprechende Weisung aus Rom erhalten zu haben, gab er selbst zu. In einem Schreiben an den Papst Ende Oktober 1946 bittet er diesen um Vergebung. Allerdings, so rechtfertigt er sein Handeln, habe er in bester Absicht gehandelt. Denn: Die ersten polnischen Behörden in Schlesien, die „zumeist aus Kommunisten, ungebildeten Menschen und rachsüchtigen Juden“ bestanden, hätten den deutschen Ordinarien das Recht abgesprochen, ihre Jurisdiktion auf die „neue polnische Bevölkerung auszudehnen“. Die polnischen „Behörden in Breslau, am rötesten und stärksten verjudet in ganz Polen, umgingen ostentativ die deutsche Breslauer Kurie und zerstörten ihr Prestige“. Es hätte nur Abhilfe geschaffen werden können, wenn man sofort „die Kirchenverwaltung in die Hände polnischer Prälaten legte, die fähig waren, die Lage zu beherrschen.“

Zwar könnte man nun sagen, daß die Geschichte längst schon über die Hlond-Kontroverse hinweggegangen ist, daß es 1965 den berühmten Versöhnungsbriefwechsel der deutschen und polnischen Bischöfe gab, daß die Grenzen inzwischen von allen Seiten anerkannt sind und auch der Dialog zwischen Juden und Katholiken allmählich in Gang kommt. Doch der Versuch der Katholischen Kirche in Polen, einen Antisemiten und Nationalisten zu einem Heiligen erklären zu wollen, ist ein Skandal sondergleichen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen