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Polen stimmen für die neue Verfassung

Beteiligung am Referendum bleibt deutlich hinter den Erwartungen. Für die Kirche und die rechten politischen Kräfte bedeutet das Abstimmungsergebnis eine Niederlage  ■ Aus Warschau Gabriele Lesser

„Ich bin zufrieden. Die III. Republik hat eine Verfassung“, sagte der polnische Staatspräsident Aleksander Kwasniewski, nachdem die ersten Ergebnisse der Volksabstimmung über die neue Verfassung am Sonntag abend vorlagen. Besonders glücklich wirkte er allerdings nicht. Enttäuscht sind fast alle Politiker über die niedrige Wahlbeteiligung: 17 Millionen Menschen blieben zu Hause. Nur 40 Prozent der Abstimmungsberechtigten gaben ihre Stimme in den Wahllokalen ab.

Unterstützt wird die neue Verfassung von 56,8 Prozent der Urnengänger, abgelehnt wird sie von 43,2 Prozent. Umgerechnet auf die Beteiligung bedeutet dies, daß nur 22,6 Prozent aller Stimmberechtigten die Verfassung ausdrücklich gutheißen. Für die Passivität ihrer Landsleute führen die polnischen Politiker verschiedene Gründe an: eine in den letzten Wochen zu emotional geführte Abstimmungskampagne zwischen Gegnern und Befürwortern, der für viele wohl doch zu schwierige Text, mangelndes Demokratiebewußtsein und schlichtes Desinteresse.

Dennoch: das Referendum ist gültig. Ein Limit für die Beteiligung an der Volksabstimmung gab es nicht. Das endgültige Ergebnis soll spätestens morgen früh vorliegen. Nach sieben Jahren zäher Verhandlungen hat Polen nun eine Verfassung, die einen demokratischen und sozialen Rechtsstaat mit einer martktwirtschaftlichen Ordnung festschreibt. Gegenüber der „Kleinen Verfassung“ von 1992 haben Parlament und Regierung mehr Rechte, der Präsident hingegen weniger.

Um den Weg nach Europa zu bahnen, wurde in das neue Grundgesetz ein Artikel aufgenommen, nach dem einzelne Souveränitätsrechte an internationale Organisationen abgetreten werden können. Auch das Verhältnis von Kirche und Staat ist geklärt: man lebt getrennt, respektiert sich aber. Ein Verbot der Abtreibung, das vor allem von Vertretern der Kirche gefordert worden war, enthält das Grundgesetz hingegen nicht, genausowenig wie eine uneingeschränkte Berufung auf Gott. Nicht zuletzt deshalb hatte der Klerus, unterstützt von der Gewerkschaft Solidarität, die Gläubigen dazu aufgerufen, wegen „moralischer Bedenken“ gegen die Verfassung zu stimmen.

Die Analyse des Abstimmungsverhaltens mache einmal mehr deutlich, so Adam Michnik, der Herausgeber und Chefredakteur der Tageszeitung Gazeta Wyborcza, in einem Kommentar, daß durch Polen ein tiefer politischer Riß gehe: die Befürworter der Verfassung rekrutierten sich zu fast 90 Prozent aus Anhängern der Regierungskoalition wie der beiden Oppositionsparteien Freiheitsunion (UW) und Union der Arbeit (UP), die Gegner stünden der Kirche und den außerparlamentarischen Gruppen nahe.

Für die kommenden Parlamentswahlen im Herbst bedeute dies, so Michnik, ein Kopf- an Kopfrennen. Eine Regierung aber, die aus einem Parlement mit zwei fast gleichstarken Gruppen hervorgehe, werde es schwer haben, eine stabile Mehrheit zu halten.

Pawel Spiewak, Soziologe an der Universität Warschau, hält es für möglich, daß sich das Ergebnis des Referendums bereits auf den Verlauf der Wahlen im kommenden Herbst auswirken werde. „Die regierenden Postkommunisten werden jetzt in der Rolle des Verfassungsgebers auftreten. Das kann man eine Ironie des Schicksals nennen: Immerhin wird das Demokratische Linksbündnis (SLD) von Leuten gebildet, die zuvor den Sozialismus aufgebaut und ihn dann wieder demontiert haben.“

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