piwik no script img

Horno stirbt – die Lausitz auch

Heute berät der Brandenburger Umweltausschuß jenes Gesetz, mit dem das Lausitzdorf dem Braunkohleabbau geopfert werden kann  ■ Aus Potsdam Detlef Krell

Im neonbeleuchteten Fraktionsflur der brandenburgischen Sozialdemokraten klebt ein Zettel: „Bitte nicht immer das Licht ausmachen!“ Ein wirtschaftspolitisches Gebot für Manfred Stolpes Mannschaft. Öffentliche Einrichtungen, Handel und Gewerbe werden in den nächsten Jahrzehnten wohl die einzigen im Lande bleiben, deren Stromverbrauch steigt.

Das meint auch Hans-Joachim Ziesing vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), nur sei deren Anteil am Gesamtstromverbrauch „nicht sehr groß“. Nicht nur das DIW warnt vor überzogenen Erwartungen an den Energieabsatz für die Vereinigten Energiewerke AG (Veag) und deren Braunkohlelieferanten, die Laubag. Dennoch hat die alleinregierende Potsdamer SPD-Fraktion kürzlich mehrheitlich für das „Braunkohlengrundlagengesetz“ und damit für die Abbaggerung des Dorfes Horno gestimmt – gegen den erklärten Willen der 370 Dorfbewohner. Heute berät der Umweltausschuß dieses Gesetz; am 11. Juni soll es im Landtag abschließend behandelt werden.

Horno hat für den Fall der Niederlage den Gang vor das Landesverfassungsgericht angekündigt, notfalls auch vor den Europäischen Gerichtshof. Laubag und Veag drohen mit Entlassungen Tausender Bergleute, die Laubag mit Zusatzkosten für Bund und Land sowie Schadenersatzforderungen in dreistelliger Millionenhöhe. Die Veag sieht gar die eigene Existenz gefährdet, wenn die Bagger vor Horno stoppen müssen.

Das Braunkohlekraftwerk Jänschwalde ist mit sechs 500-Megawatt-Blöcken das größte in Deutschland. Die Veag hat 3,5 Milliarden Mark investiert; nun soll es bis zum Jahr 2020 mit jährlich 20 Millionen Tonnen Braunkohle aus dem Tagebau gefüttert werden und Ostdeutschland mit Strom versorgen. Im Jahr 2000, wenn nach Laubag-Planung die Bagger über Horno rollen, arbeiten dort 2.400 Bergleute. Diese sollen – so eine Zusage von Laubag- Vorstand Kurt Häge – „auch bis zum Endzeitpunkt des Tagebaus mitgeführt werden“, also bis zum Jahr 2020.

Stirbt Horno, blüht die Lausitz. So argumentieren Handwerkskammer und Industrie- und Handelskammer im monostrukturierten Südbrandenburg, wo 15.000 Arbeitsplätze an der Braunkohle hängen. Augen zu und durch, meint Umweltminister Matthias Platzeck (SPD): Man dürfe „den Zusammenbruch dieses Wirtschaftsbereiches nicht sehenden Auges zulassen“. Bernd Siegert, Hornos Bürgermeister, wehrt sich: „Wenn das Wohl und Wehe des Landes Brandenburg nur an dem kleinen Dörfchen Horno hängt, dann muß man mit unseren Leuten vernünftig reden. Aber diesen Beweis hat bisher niemand gebracht.“ Der einzige Grund für Arbeitsplatzverluste in Tagebau und Kraftwerk sei der rückläufige Bedarf an Kohle. An dieser Frage scheiden sich die Argumente auch nach über 50 Gutachten und einer Expertenanhörung im Potsdamer Landtag. Auf der Basis der Wirtschaftsdaten von 1995 hat das Berliner Prognos-Institut ein Wirtschaftswachstum in den neuen Ländern von jährlich 8,3 Prozent bis 2000 und 4,6 Prozent bis 2010 prognostiziert. Das Wuppertal Institut geht bis 2000 von einem jährlichen Wirtschaftswachstum von 6,8 Prozent und bis 2010 von jährlich 3,1 Prozent aus. Im Frühjahrsgutachten der sechs führenden Wirtschaftsinstitute wird für 1998 in den neuen Ländern eine Prognose von 2,5 Prozent gegeben.Trotz der „gedämpften Wirtschaftsentwicklung“ sieht Prognos keinen Grund, Voraussagen über den Stromverbrauch zu korrigieren.

Projektleiter Werner Bohnenschäfer bewertet ein „allmähliches und deutliches Ansteigen des Stromverbrauches“, wie derzeit registriert, als ausreichend. Veag- Vorstand Eckhard Dubslaff hält auch nicht sehr viel von Bedarfsprognosen, die seien „naturgemäß mit Unsicherheiten behaftet“. Eine Korrektur des Stromabsatzes nach unten hätte zudem „kaum Auswirkungen auf die Einsatzweise des Kraftwerkes Jänschwalde“. Vielmehr würde man „mit einer Verschiebung des Zubauprogramms neuer Kraftwerke“ reagieren.

Stefan Lechtenböhmer vom Wuppertal Institut stellt dagegen fest: „Für den Braunkohlestrom aus Jänschwalde fehlen der Veag schlicht die Abnehmer.“

Ein „Stromeinsparpotential von 30 Prozent in den neuen Bundesländern“ sieht Harald Bradke vom Fraunhofer Institut Karlsruhe. Jegliche „bewußte Klimapolitik“ durch die „Förderung dezentraler Stromerzeugung birgt für die Veag ganz erhebliche Risiken, die es geraten erscheinen lassen, einen möglichst flexiblen Kraftwerkspark anzustreben“. Eine langfristige Absage an Giganten wie Jänschwalde.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen