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Und dann schwebt der Tunnel

Der Verkehrstunnel unterm Tiergarten wird oberirdisch gebaut und dann versenkt. Dabei gibt es Jobs, die Bauarbeiter zu Alltagshelden machen  ■ Aus Berlin Hannes Koch

Der Feldherrnhügel über dem Potsdamer Platz ist eine Aussichtsplattform. Oben auf der knallroten „Info-Box“ der Baukonzerne stehen Bus-Touristen und WG-Bewohner aus Kreuzberg einträchtig beieinander und weisen mit großer Geste auf Kräne, Baugrubenseen, Beton und Sand.

Faszination Baustelle: Lud man früher seine Bekannten zur revolutionären 1.-Mai-Demo, schleppt man sie heute durch die Kraterlandschaften in Berlin-Mitte. Eine milliardenteure Maschinerie stampft hier das zukünftige Zentrum der Hauptstadt aus dem Boden.

Die PR-Abteilungen der Baukonzerne tun einiges, um die Ehrfurcht zu nähren. Alles ist machbar, jubeln sie, und das Volk auf dem Feldherrnhügel staunt: Die Spree wird verlegt, ein Haus auf Kufen gesetzt und an einen anderen Ort verschoben, und jetzt wird auch noch über der Erde ein Tunnel gebaut.

Der haushohe Betonklotz wächst gleich neben der Info-Box aus dem sandigen Boden. In selbigem wird er nach seiner Fertigstellung auch wieder verschwinden. Es handelt sich um ein Stück des zukünftigen Eisenbahntunnels unter dem Potsdamer Platz, durch den ab 2002 der ICE zum neuen Hauptbahnhof rasen soll. Es sei billiger, sagt die Bahn, das Monstrum über der Erde zu bauen und dann mittels eines spektakulären Verfahrens zu versenken, als eine traditionelle Baugrube auszuheben.

Hany Azer, Angestellter der Bahn und Leiter des Tunnelprojekts, weiß um die neue Wertschätzung für die Bauleute. Um die herkulische Leichtigkeit der Aufgabe zu verdeutlichen, nimmt er in seinem Büro die mit Wasser gefüllte Kanne der Kaffeemaschine, stülpt umgekehrt ein leeres Glas hinein und macht große Augen: „Es läuft nicht voll!“ Das Glas ist die im Boden versinkende Tunnelhalle, und die Luft, die das Wasser verdrängt, zeigt, wie die Bauarbeiter geschützt werden, die unter dem Betonklotz in der Erde schuften.

Einige hundert Meter vom Potsdamer Platz entfernt ist bereits ein ähnliches Tunnelstück – seine Grundfläche entspricht der dreier großer Tennisplätze – in der Erde verschwunden. Ende Mai wird es seine endgültige Position in 30 Meter Tiefe erreicht haben. Der 48jährige Hans-Jürgen Wojcinski ist einer der „Spülkanoniere“, die das Tunnelstück, den sogenannten Senkkasten, in den märkischen Sand absenken.

Durch eine senkrechte Röhre, die Personenschleuse, klettert der Kanonier hinunter zu seinem Arbeitsplatz in den Hohlraum unter dem Tunnelstück. Wenn er unten ist, sind über seinem Kopf nur noch 40 Zentimeter Platz. In den Händen hält er – wie ein U-Boot-Kapitän sein Periskop – an zwei Griffen ein Wasserrohr gepackt, das durch den Boden des Tunnels zu ihm in den Hohlraum ragt: „Sieht aus wie ein Wasserwerfer der Polizei, nur rot.“ Dann schießt mit einem Druck, den kein Mensch überleben würde, und irrsinnigem Krach der Wasserstrahl aus dem Rohr, schleudert, wo Wojcinski hinzielt, Sand, Steine und Geröll in die Luft und verwandelt den festen Untergrund in einen schlammigem Brei. Wenn er einige Zeit um sich herum gespritzt hat, steht der Arbeiter auf einer kleinen Insel im braunen See. Er schaltet das Wasser ab, watet in seiner brusthohen Watthose aus Gummi zum nächsten der fünfzehn Rohre und vernichtet seinen vorigen Standpunkt.

Nach fünf bis sechs Stunden ist der von Strahlern hell erleuchtete Hohlraum unter der Tunnelhalle um 50 Zentimeter tiefer, weil Pumpen den Schlamm unablässig nach oben absaugen. Jetzt schwebt der Tunnelblock. Nur ein Polster aus Druckluft verhindert, daß die 28.000 Tonnen Stahl und Beton Wojcinski und seinen fünf Kollegen auf den Kopf fallen. Ihr Leben hängt davon ab, daß die Maschinen permanent Überdruck in den unterirdischen Hohlraum pressen. Und wenn die Pumpen ausfallen? „Dann sehen wir alt aus“, sagt der Spülkanonier. Doch das werde nicht passieren, das Verfahren der Senkkästen sei erprobt. Schon die alten Griechen hätten es beim Hafenbau verwendet, erklärt die Bahn AG. Die Ausmaße der Berliner Baustelle würden allerdings alles bisher Dagewesene übersteigen.

Bevor die oberirdische Bedienungsmannschaft nun die Druckluft abläßt und den Kasten um etwa 40 Zentimeter pro Tag weiter absenkt, müssen die Tunnelbauer durch die Personenschleuse wieder nach oben steigen. Eine Stunde verbringen sie dann noch in der Dekompressionskammer, um sich wieder an den normalen Luftdruck zu gewöhnen. Dort sitzen sie auf Holzbänken, die Gesichter von Sauerstoffmasken verformt. Unterhalten können sie sich nicht. „Eine langweilige Angelegenheit“, sagt Wojcinski. Und hilft sich mit Pornoheftchen. Die 35 Grad in der Taucherglocke sollen Erkältungen vorbeugen, die Männer schwitzen mehr als bei der Arbeit.

Bauarbeiter wie Hans-Jürgen Wojcinski sind die Helden des neuen Berlin. Hunderte von Touristen stecken täglich ihre Nasen durch die Absperrzäune, nicht nur beim Tunnelbau. Für den unterirdischen Bahnhof Potsdamer Platz steigen Taucher in künstliche Seen, um unter Wasser zu betonieren.

Die Faszination der ingenieurtechnischen Höchstleistungen scheint fast vergessen zu machen, wie umstritten zum Beispiel das Tunnelprojekt mit seinen Bahnhöfen, Schienen- und Straßentrassen war, bevor mit seinem Bau begonnen wurde. Die neue Nord-Süd- Verbindung unter dem Zentrum der Stadt galt als Inbegriff von Milliardenverschwendung und als ein ökologisches Desaster: Wegen der Eingriffe in den Grundwasserhaushalt würden die Bäume im Tiergarten absterben, prognostizierte nicht nur der Bund für Umwelt- und Naturschutz.

Solche Zweifel und Warnungen hört man inzwischen nur noch selten auf der Aussichtsplattform der Info-Box. Ein Berliner, der auf sich hält, outet sich heutzutage als Baustellen-Fan.

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