: Aus den Hinterhöfen unter staatliches Dach?
■ In Berlin wird der Islam nur in privaten Koranschulen unterrichtet. Die Islamische Föderation will jetzt vor Gericht die Zulassung für öffentliche Schulen erzwingen
Jahja Schülzke ist ein gottesfürchtiger Mann. Seit über drei Jahrzehnten betet der 66jährige Deutsche zu Allah. Und seit über zehn Jahren ärgert er sich, daß die Kinder an den Berliner Schulen zwar am christlichen Religionsunterricht teilnehmen können, der Islam sich aber nicht im Lehrangebot findet. „Seit 1982 haben wir mit dem Senat gestritten und verhandelt, jetzt hoffen wir auf die Einsicht der Justiz“, sagt der frühere Postbeamte.
Schülzke ist stellvertretender Vorsitzender der „Islamischen Föderation“, eines eingetragenen Vereins, der nun mit einer heiklen Klage das Berliner Verwaltungsgericht beschäftigt. Sein Verein will in eigener Regie Religionsunterricht an den Schulen geben.
Bei der Entscheidungsfindung sind die Richter nicht zu beneiden. Denn die Islamische Föderation steht der Organisation Milli Göruș nahe, also jener Auslandsorganisation des fundamentalistischen türkischen Ministerpräsidenten Erbakan, die jüngst vom Bundesamt für Verfassungschutz als extremistisch eingestuft wurde. Die Verwaltungsrichter müssen den Anspruch der Islamischen Föderation zudem an einer Besonderheit des Berliner Schulgesetzes messen, das die juristische Ausgangslage zusätzlich kompliziert: Religionsunterricht ist in der Hauptstadt kein ordentliches Lehrfach, sondern schlichtweg „Sache der Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften“. Die Teilnahme am Unterricht evangelischer oder katholischer Amtsträger, sofern er denn überhaupt angeboten wird, ist also freiwillig. Ein verpflichtendes Ersatzfach wie etwa Ethik gibt es nicht.
Wohlwollend sieht die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg den Wunsch der Moslems, einen eigenen Religionsunterricht abzuhalten – zur Frage, ob die Islamische Föderation der richtige Träger wäre, hält man sich zurück. Die vorsichtige Fürsprache der christlichen Kirchen ist nicht ganz uneigennützig. Auch sie streiten seit längerem für eine Änderung des Berliner Schulgesetzes. Religion solle endlich zum Wahlpflichtfach gemacht werden, so ihre Forderung. Schüler müßten dann zwischen Religion oder einem Ethikfach wählen, eine zumindest theoretische Stärkung des Einflusses der beiden Amtskirchen.
Die Klage der „Islamischen Föderation“, deren Gottesdienste nach eigenen Angaben angeblich 50.000 Berliner Moslems aufsuchen, kommt zu einem Zeitpunkt, da Jugendforscher wie der Bielefelder Soziologe Wilhelm Heitmeyer eine zunehmende Hinwendung junger Türken zum Islam feststellen. Allein 26.226 türkische Kinder und Jugendliche besuchen allgemeinbildende Schulen in Berlin – so viele wie in keiner anderen deutschen Metropole. Die Befriedigung religiöser Bedürfnisse überläßt die Stadt anderen. Vornehmlich in den Kreuzberger und Neuköllner Hinterhöfen weisen immer häufiger islamische Fundamentalisten die Kinder in die Lehre des Koran ein. Das Problem ist der Berliner Schulverwaltung wohlbekannt, doch klare Konzepte fehlen. „Wir haben grundsätzlich nichts gegen einen islamischen Religionsunterricht“, sagt die Sprecherin der Senatsverwaltung für Schule, Bettina Martin. Nur stehe ihre Behörde vor einem Dilemma: Im Gegensatz zu den christlichen Kirchen gäbe es im Islam keinen Gegenpart, der die Mehrheit der Muslime vertreten könne. „Wir brauchen daher zunächst einmal einen juristischen Ansprechpartner, der vor allem Neutralität garantiert“, fordert Martin. Berlins Ausländerbeauftragte Barbara John, die seit über 15 Jahren im Amt ist und die Entwicklung sehr genau beobachtet hat, ist sich mit der Schulverwaltung einig: „Wir müssen den Religionsunterricht aus den Hinterhöfen herausbekommen, wo er keiner Kontrolle unterliegt“.
John schwebt ein pluralistischer „Euro-Islam“ vor. Zunächst einmal sollten die verschiedenen islamischen Gruppen in der Stadt sich zu einem Träger zusammenschließen, dann in aller Öffentlichkeit diskutieren und so die „Inhalte der Schulbücher“ überwachen. Die Idee der Christdemokratin John dürfte aber innerhalb der politisch und religiös organisierten Berliner Türken nur schwer zu realisieren sein. Konkurrenz, Mißgunst und persönliche Eitelkeiten verhindern seit Jahren selbst auf schmalster Basis eine effektive Zusammenarbeit. Hinzu kommt die Angst, religiös dominiert zu werden, vor allem bei den Alewiten unten den 137.000 Türken in der Stadt. Rund ein Drittel gehören dieser liberalen Richtung an; im vergangenen Jahr demonstrierten 20.000 in Berlin gegen den fundamentalistischen Kurs der Erbakan- Regierung in Ankara. Der Türkische Bund in Berlin und Brandenburg, eine Organisation mit vornehmlich sozialdemokratischer Ausrichtung, hält einen „bekennenden Religionsunterricht für moslemische Kinder“ wegen der „Vielfalt des Islam“ und „fehlender politisch-neutraler Träger“ schlichtweg für nicht durchführbar. Statt dessen sollte ein islamischer „religionskundlicher Unterricht“ wie etwa in Nordrhein- Westfalen unter staatlicher Aufsicht an den Schulen gelehrt werden.
Doch dafür müßte erst einmal das Berliner Schulgesetz geändert werden. Daran sei aber „derzeit nicht konkret gedacht“, sagt die Sprecherin der Schulverwaltung.
Noch in diesem Jahr will das Verwaltungsgericht über die Klage der Islamischen Föderation entscheiden. Im Berliner Senat hofft man insgeheim, daß die Richter kein Einsehen mit den Freunden von Milli Göruș haben. Severin Weiland
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