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Hongkong in zehn Jahren

Die Pessimistin und der Optimist: Emily Lau, Vertreterin der Demokratiebewegung, und Henry Tang, Industrieller, über die Perspektiven unter chinesischer Herrschaft

In einem Monat wird die britische Kolonie Hongkong unter chinesische Herrschaft zurückkehren. Die Übertragung der Souveränität geht einher mit folgenschweren Veränderungen für die Lebensweise der 6,3 Millionen Einwohner Hongkongs, von denen viele aus China geflohen waren und sich nun vor der Aussicht fürchten, erneut unter kommunistischer Herrschaft zu leben. Die Kunst der Voraussage ist mit Risiken verbunden, aber da so viele Menschen von den bevorstehenden Änderungen fasziniert sind, wurde ich wiederholt um eine Prognose gebeten, wie die Zukunft der Besonderen Verwaltungsregion Hongkong (SAR) aussehen wird.

Was künftig in Hongkong geschieht, hängt vor allem davon ab, was mit der chinesischen Führung in Peking passiert. Nach dem Kongreß der chinesischen Kommunistischen Partei im September dieses Jahres wird die Nachfolge Dengs deutlicher werden. Falls es in Peking nicht zu drastischen Veränderungen der Personen und der Politik kommt, wird Hongkong in einer Reihe von Bereichen einen Rückschritt erleben. Dazu gehören die Demokratisierung, die Wahrung der bürgerlichen Freiheiten, die Rechtssicherheit und der Kampf gegen die Korruption.

Da China ein autoritäres Land ist, wäre es ein Wunder, wenn Peking in der SAR eine auch nur begrenzte Demokratie zulassen würde. Wunder sind selten, und die politische Szene Hongkongs scheint entschlossen, sich von einer kleinen Anzahl Wirtschaftsbosse und prokommunistischer Sympathisanten beherrschen zu lassen. Ein paar prodemokratische Politiker werden eine eingeschränkte Alibirolle spielen dürfen, solange sie sich auf Fensterreden beschränken. Auch die derzeitigen Freiheiten für die Menschen Hongkongs könnten schwinden – weil die chinesische Regierung anderen Ansichten gegenüber keine Toleranz zeigt und ihr viele Möglichkeiten offenstehen, um abweichende Meinungen zu ersticken.

Da China für Rechtssicherheit weder Respekt noch Verständnis aufbringt, könnte auch dieser wichtige Faktor für Hongkongs Erfolg bedroht sein. Beziehungen und Hintertreppenmethoden werden sich durchsetzen. Man kann etwas erreichen, wenn man Freunde in hohen Stellungen besitzt. Diese können buchstäblich Morde begehen, besonders wenn es keine freie Presse gibt, um Machtmißbrauch und Korruption anzuprangern.

Viele Vertreter der Wirtschaft schauen zuversichtlich in die Zukunft, weil sie glauben, in Hongkong werde man auch weiterhin gut Geld verdienen können. Da viele Konzerne nach innen sehr repressiv arbeiten, kann es nicht überraschen, daß manche Vertreter der Wirtschaft bereit sind, Verletzungen der Menschenrechte und Korruption mit Nachsicht zu betrachten. Einige von ihnen rechnen mit Repressionen, sind aber überzeugt, die Situation lasse sich unter Kontrolle halten.

Am 11. Dezember 1996 wurde ich von der Polizei Hongkongs verhaftet, weil ich gegen die sogenannte Auswahl von Tung Che- hwa zum höchsten Beamten der SAR protestiert hatte. Die Behörden erhoben jedoch keine Anklage. Hinterher meinte ein Bankier, er sei über meine Verhaftung sehr froh, denn das bedeute, daß eine künftige Verhaftung durch die chinesischen Behörden kein Aufsehen erregen werde – die Briten hätten ja 1996 schon einen Präzedenzfall geliefert.

Wenn sich einige meiner Voraussagen als wahr erweisen, könnten viele Fachleute Hongkong verlassen. Viele dieser Menschen sind erst nach Hongkong zurückgekehrt, nachdem sie im Ausland andere Staatsbürgerschaften angenommen hatten; sie sind vielleicht nicht bereit, ihre Kinder in einer repressiven Umgebung aufwachsen zu lassen. Manche Leute sagen, China werde sich verändern und Hongkong könne dazu beitragen, dies zu beschleunigen. Ich stimme zwar zu, daß sich in China viel getan hat, aber ich bin kein Anhänger der Theorie, daß der Schwanz mit dem Hund wedeln kann.

China ist ein riesiges und armes Land mit vielen Problemen. Es ist naiv, zu glauben, Hongkong könne einen bedeutenden Einfluß auf China ausüben. Man darf nicht vergessen, daß Hongkong für den kommunistischen Riesen nur ein Pickel ist! Diese Aussicht mag trübe wirken, aber Hongkong ist keinesfalls zum Untergang verurteilt.

Die Menschen Hongkongs besitzen keine Panzer und Maschinengewehre und wollen auch keinen Zusammenstoß mit der kommunistischen Regierung Chinas. Dennoch müssen wir auch weiterhin die chinesische Führung daran erinnern, daß sie selbst uns die Versprechungen der gemeinsamen chinesisch-britischen Erklärung von 1984 angeboten hat. Nach zweijährigen Geheimverhandlungen mit der britischen Regierung, bei denen die Menschen Hongkongs keine Rolle spielten, hat die chinesische Regierung den Menschen Hongkongs versichert, sie würden unter Dengs Konzept von „einem Land, zwei Systemen“ künftig „ein hohes Maß an Autonomie“ genießen. Wenn auch nicht allzu viele Menschen dies geglaubt haben, so schulden wir es doch uns selbst und unseren Kindern, für eine demokratische und freie Zukunft zu kämpfen. Emily Lau

Wahrsagen kann ich nicht, aber trotzdem bin ich voller Zuversicht, daß das Territorium Hongkong zehn Jahre nach seiner Rückkehr unter chinesische Herrschaft eine neue Ära wirtschaftlichen Wachstums und Wohlstands genießen wird, mit einem noch höheren Lebensstandard und engeren wirtschaftlichen Bindungen an China. Zunächst möchte ich jedoch die Faktoren aufzählen, die zum derzeitigen Erfolg Hongkongs beigetragen haben, weil diese auch in Zukunft positive Bedeutung besitzen werden.

Zunächst konnte Hongkong dank seines natürlichen Tiefwasserhafens zur siebtgrößten Handelseinheit der Welt werden, und die Warenmenge, die im Territorium umgeschlagen wird, soll nach allen Voraussagen weiter wachsen. Außerdem machte die geographische Nähe zu China Hongkong für die vielen Organisationen und Firmen, die sich einen Anteil am riesigen, kaum entwickelten chinesischen Binnenmarkt sichern wollten, lange Zeit zum Eingangstor zum Festland. Die Bevölkerung des Territoriums besitzt zudem unternehmerische Fähigkeiten, kann hart arbeiten, verfügt über eine Vision für die Zukunft und eine internationale Perspektive, wie sie sonst kaum jemand aufweisen kann.

Hongkong war immer sehr unternehmerfreundlich, dank seiner Rechtssicherheit und wegen seines Mangels an Bürokratie und Korruption. Es profitiert auch von einem einfachen, niedrigen Steuersystem sowie einer interventionsfeindlichen Regierung. Eine gut ausgebaute Verkehrsinfrastruktur gestattet die ungehinderte Bewegung von Menschen und Waren, und ein hochentwickeltes Telekommunikationsnetz ermöglicht den freien Informations- und Kapitalfluß.

Dies sind nur einige der Faktoren, die Hongkong zu einem Synonym für kräftiges Wachstum, scharfe Konkurrenz, ein hohes Leistungsniveau und ein hervorragendes Beispiel der freien Marktwirtschaft gemacht haben. Diese Siegesformel wird Hongkong auch weiterhin gute Dienste leisten, wenn die Souveränität nach dem Konzept „ein Land, zwei Systeme“ gewechselt hat; viele ihrer Aspekte finden ihren Niederschlag im Grundgesetz, der Miniverfassung der Besonderen Verwaltungsregion Hongkong. Sie wird dem Territorium ein beispielloses Maß an Autonomie verschaffen; zum ersten Mal in seiner Geschichte wird Hongkong von seinen eigenen Bürgern regiert.

Die Entwicklung des Territoriums zu einer der wohlhabendsten Wirtschaftsregionen der Welt war immer auch mit den Entwicklungen auf dem Festland verknüpft – von der Welle der Einwanderer, die China in den fünfziger Jahren verließen und ihr industrielles Wissen und ihren Willen zum Erfolg mitbrachten, bis hin zu dem Konkurrenzvorteil der Produzenten des Territoriums, weil ihnen das Festland reichlich billige Grundstücke und Arbeitskräfte bot, abgesehen vom Zugang zum Binnenmarkt.

Nach neueren Schätzungen beschäftigen Firmen aus Hongkong im Produktionssektor achtmal mehr Menschen in der Provinz Guangdong als im eigentlichen Territorium. Während jenseits der Grenze die arbeitsintensiven Produktionsprozesse ablaufen, bleibt das Territorium die Basis für die Tätigkeiten, die zur Wertschöpfung des Endprodukts beitragen. Damit Hongkong jedoch auf den Weltmärkten des 21. Jahrhunderts wettbewerbsfähig bleiben kann, muß es jetzt nach neuen, wissensintensiven Industriezweigen und Produktionssektoren mit hoher Technologie und vermehrter Wertschöpfung Ausschau halten. Über die eigenen Grundlagen hinaus wird sich Hongkong durch die engere wirtschaftliche Zusammenarbeit mit China einen verstärkten Zugang zur Forschung und den Kenntnissen des Festlands verschaffen. Dadurch wird in Hongkong eine neue Ära der Produktion anbrechen und für künftigen Wohlstand auf beiden Seiten der Grenze sorgen.

Wie also wird Hongkong im Jahr 2007 aussehen? Als Besondere Verwaltungsregion der Volksrepublik China wird Hongkong heller strahlen als je zuvor. Das Gebiet wird sich in einer einzigartigen Position befinden – als Bestandteil des Festlands, aber ausgestattet mit Fachwissen, Handelsbeziehungen und Geschäftssinn, wie sie keine andere chinesische Stadt oder Region aufweisen kann. Durch die Gründung engerer Partnerschaften mit Organisationen und Firmen des Festlands wird Hongkongs Wirtschaft weiterhin wachsen, auf der Basis eines starken, auf Fachwissen und hoher Wertschöpfung basierenden Industriesektors. Als besonderes Zollgebiet wird Hongkong auch künftig eine Handelseinheit aus eigener Kraft bleiben und die bilateralen Vereinbarungen mit seinen derzeitigen Handelspartnern einhalten. Vor allem wird es seiner Bevölkerung einen hohen Lebensstandard und eine Gesellschaft bieten, in der die Menschenrechte respektiert werden. Aufgrund der Verbindung der chinesischen Ressourcen mit den bereits vorhandenen Vorzügen des Territoriums sehe ich für Hongkong eine erfolgreiche und blühende Zukunft voraus. Henry Tang

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