„Der Griff ans Strumpfband“

■ Der Währungsexperte Wilhelm Hankel fürchtet, daß der Euro zur Weichwährung wird. „Das Ansehen der Bundesbank hat gelitten“

taz: Was halten Sie von Waigels Goldtrick?

Wilhelm Hankel: Es ist der Griff ans Strumpfband. Eine akute Verletzung gelebter Verfassungstradition. Die Goldreserve steht nicht zur Verfügung eines Finanzministers. Sie ist da für die Volkswirtschaft, falls wir mal die nötigen Importe nicht zahlen können. Die Herstellung eines Scheingewinnes zugunsten des Fiskus verstößt gegen den Grundsatz der Trennung von Notenbank und Finanzpolitik.

Begünstigt das die Inflation?

Es ist Inflation – und ein Stück verlorener Glaubwürdigkeit. Schließlich war es diese Bundesregierung, die in ganz Europa bei den künftigen Teilnehmern der Währungsunion diese Trennung von Geld- und Finanzpolitik durchgesetzt hat.

Schadet das dem Euro?

Mit Sicherheit. Es nimmt der internationalen Finanzwelt den Glauben, daß der Stabilitätspakt, der sich ja an den Namen Waigel knüpft, überhaupt ernst gemeint ist. Denn nun hält sich nicht mal mehr der Erfinder an die von anderen verlangten Spielregeln.

Sie meinen, der Euro wird eine Weichwährung.

Ja, denn nun ist klar: Niemand in Europa wird die Trennung von Staat und Währung noch beachten. Nach dem deutschen Sündenfall sind auch die Schwachwährungen zutrittsberechtigt. Es wäre besser, den Euro zu verschieben.

Zurück zur Furcht vor mehr Inflation: Selbst die Bundesbank sagt, daß das zusätzliche Geld, das durch die Goldneubewertung in Umlauf kommt, später wieder eingezogen werden kann. Dazu müsse nur die Geldvergabe an die normalen Banken verringert werden.

Das hieße ja: Drosselung der Kredite. Damit würden andere dafür bestraft, daß der Finanzminister über seine Verhältnisse lebt. So würde die ohnehin schwache Konjunktur weiter abgewürgt.

Weil dann Geld fehlt?

Ja. Die Zinsen würden dann wieder steigen.

Aber war eine höhere Bewertung des Bundesbank-Goldes für den Euro nicht ohnehin schon geplant?

Der Maastricht-Vertrag sah nur eine Höherbewertung der Reserve für den Teil vor, der später an die Europäische Zentralbank gehen soll. Waigel hat das auf die gesamten Reserven ausgedehnt. Damit wird dokumentiert, daß die Bundesbank nicht mehr Herr im eigenen Hause ist.

Das Ansehen der Bundesbank ist gefährdet?

Das Ansehen hat bereits gelitten, denn man hat natürlich erwartet, daß die Bundesbank bereits beim ersten Anzeichen eines solchen unsittlichen Antrages protestiert. Sie hat aber wertvolle zwei Wochen verstreichen lassen.

Woran lag das?

Das kann man nur vermuten. Wahrscheinlich liegt das am komplizierten Innenleben eines sechzehnköpfigen Zentralbankrats, der ja auch politisch unterschiedlich zusammengesetzt ist. Da verfügt ein Finanzminister über eine Art fünter Kolonne.

Ein harter Vorwurf.

Auch die Bundesregierung ernennt einen Teil der Mitglieder – die Bundesländer den Rest. Der Zentralbankrat ist also zugleich ein Gremium politischer Vertrauensmänner.

Wird die Bundesbank geopfert, um die Koalition zu retten?

Zumindest wird ein über die gesamten Nachkriegsgeschichte akzeptierter Grundsatz – die Unantastbarkeit der Bundesbank – geopfert. Wenn Waigel seinen Plan ausführt, wird sie nicht mehr die alte Bundesbank sein. Die These, daß keine Zentralbank der Erde so unabhängig sei wie die deutsche, ist nachhaltig erschüttert.

Sollte Bundesbankpräsident Tietmeyer dann zurücktreten?

Das muß er wohl selbst entscheiden. Aber in unserem Rechtsstaat gilt ja: Nicht das Opfer ist schuldig, sondern der Angreifer. Für mich ist eher die Frage, ob nicht Herr Waigel diesen Schritt tun müßte. Interview: Matthias Urbach