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Bremer Todeslager

■ Will Quadflieg las im U-Boot-Bunker „Valentin“in Bremen-Farge Texte eines überlebenden Zwangsarbeiters

Bremen-Farge, 1. August 1944. „Ein Fenster geht auf, und wir drehen uns um. Ein Mann im Hemd fragt uns: „Wo kommt ihr her?“– „Aus Neuengamme.“– „Wo sind wir hier?“– „In Bremen-Farge.“– „Schlimm?“– „Schrecklich, hier wird eine U-Boot-Basis gebaut.“

Bremen-Farge, 1. Juni 1997. 640 Menschen aus Bremen, Oldenburg, Hannover sitzen an dem Ort, wo zwischen 1943 und 1945 vermutlich 4.000 Menschen aus Rußland und Polen, Griechenland und Frankreich zur Arbeit gezwungen, durch Quälereien und Erschießungen ermordet wurden oder an Hunger und Erschöpfung starben. Im U-Boot-Bunker „Valentin“, einem Beton-Riesen – 426 m Länge, 67 bis 97 m Breite, 25 m Höhe – wollten die Nazis U-Boote am Fließband produzieren. Dazu ist es nie gekommen. Fünfzig Jahre später (begleitend zur Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“in der Unteren Rathaushalle in Bremen) rezitiert in der Ruine dieses Monsters der Schauspieler Will Quadflieg die Worte eines Überlebenden: Raymond Portefaix aus dem Dorf Murat bei Oradour war bei seiner Deportation nach Farge 18 Jahre alt.

Atem- und pausenlos, monoton, ungehalten liest Will Quadflieg Portefaix' Lebensabriß. Es ist dunkel und kalt in dem Betongemäuer. Manche tragen Handschuhe, haben Thermoskannen dabei. Von der durchlöcherten Decke tropft es. Ein Besucher (Bürgermeister Henning Scherf) zieht die Kapuze über den Kopf. Licht gibt es nur in der Tiefe des Bunkers durch ein Loch in der viereinhalb Meter dicken Wand und von den Scheinwerfern, die auf Quadflieg gerichtet sind. Ein paar Krähen fahren dem „besten Leser der Nation“(Jg. 1914) – der sich zur eigenen Vergangenheit im Dritten Reich nicht äußert – kreischend in seinen unwirschen Vortrag. „Herr Quadflieg, etwas langsamer!“ruft eine Zuhörerin.

Samstag, 12. August. Nach dem Essen sind wir gerade unter unsere Decke gekrochen, als der Blockführer sichtlich betrunken hereinkommt, um eine Fußkontrolle durchzuführen. Auf die ohnehin schmerzenden Zehen geht der Knüppel nieder und gräbt bläulichrote Furchen in den empfindlichsten Teil der Haut.

Das „Außenkommando Farge“galt als Todeslager des KZ Neuengamme. Täglich arbeiteten etwa 10.000 Menschen auf der Baustelle. Alle drei Monate wurden 300 bis 400 Männer dem Tode nahe als „Muselmänner = Arbeitsunfähige“wieder nach Neuengamme deportiert, meist, um dort zu sterben. Raymond Portefaix kämpfte im Lager Farge jugendlich ungestüm gegen die mörderische Nazimaschinerie, provozierte vorsätzlich, um geknüppelt und ausgepeitscht zu werden, um im Krankenrevier wieder zum Leben zu erwachen: „Ich werde heimkehren!“Und ihn quälte der Haß auf den eigenen Überlebensdrang; er nannte es egoistisch, daß er um sich herum die Freunde sterben sah.

12. Januar 1945. Auch andere Füße wurden schwarz. Ganz allein habe ich eine Welt ausgefüllt, die Tausende und Abertausende von Leichen mit mir bevölkern. Ich habe sie vergessen, ich bin auf ihrer wankenden Masse herumgetrampelt und habe dabei geschrien: „Ich, ich ganz allein!“

Bremen hat die Hölle im U-Boot-Bunker „Valentin“nach Kriegsende verdrängt. SchülerInnen vom Schulzentrum Hamburger Straße (Grundkurs Geschichte) dokumentieren auf einigen Schaubildern in der Ruine, daß das Bremer Katasteramt auf den Karten nach '45 in Farge einen weißen Fleck ließ – daß die Baufirma Wayss & Freytag, der Bremer Vulkan, Siemens-Schukert sich zu ihrer Beteiligung am (U-Boot-)Bau nicht äußerten – daß die Bremer Presse in den Fünfzigern den Bunker zum „achten Weltwunder“erklärte und Bremen 1957 erwog, den Bunker als „Hülle für einen Atomreaktor“zu verwenden. Jetzt wird ein Teil des Ungetüms von der Bundeswehr (der Bund ist Eigentümer) als Marinematerialdepot genutzt. Der Rest liegt brach und ist teilweise mit Stacheldraht abgesperrt. Aus der Decke gerissene oder von den Briten runtergebombte Stahlträger ragen wie Fischgerippe metertief Richtung Boden, der brüchig ist, sandig. „Gehen Sie ruhig da rein“, meint ein Marine-Offizier nach der Lesung zu einigen ZuhörerInnen. Ein Feuerwehrmann holt die Leute gleich wieder zurück.

Vor Beginn, als Will Quadflieg die Veranstalter – Verleger Helmut Donat und der Verein „Blumen für Farge“– aufforderte, den Stock Hortensien vom Lesetisch zu nehmen – hatte mein Sitznachbar zu erzählen begonnen: Mit 17 wurde er '43 eingezogen, mußte an der Atlantikküste „aushalten bis zum Schluß“. In St. Nazaire hat er auch so einen Bunker gesehen. „Drei Jahre war ich dann in Gefangenschaft. Drei Monate im Hungerlager. Dreimal versuchte ich zu fliehen, die dritte Flucht glückte. Sie haben sich an uns gerächt.“Er weint, als Quadflieg schließt: „Es ist zu Ende.“ Silvia Plahl

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