: Eine atmosphärische Wende in der EU
Der Wahlsieg des Sozialisten Jospin in Frankreich hat die alte linke Vision eines „sozialen Europas“ wiederbelebt. Kein Wunder, daß – zumal nach Waigels Krieg mit der Bundesbank – auch in Deutschland die konservative Bastion bröckelt.
Der doppelte Wahlsieg der Linken, zuerst in Großbritannien am 1. Mai und jetzt am 1. Juni in Frankreich, bedeutet für die Europäische Union eine atmosphärische Wende. Nur noch in zwei EU- Mitgliedsstaaten, Deutschland und Spanien, regiert die Rechte. Das konservative Europamodell – straffe Sparpolitik zur Einhaltung einer restriktiv ausgelegten Version der Maastrichter Konvergenzkriterien für die Einführung des Euro – ist tot. Die alte linke Vision eines „sozialen Europas“, mit europaweiten Beschäftigungsprogrammen zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit, erlebt eine Wiederauferstehung.
In der Europapolitik steht Wahlsieger Lionel Jospin gegen den in Bonn ersonnenen und später von der EU mitgetragenen „Stabilitätspakt“ vom Dezember 1996, wonach zur Stärkung des Euro Länder mit übergroßen Haushaltsdefiziten Strafe zahlen sollen. Jospin nannte im Wahlkampf den Stabilitätspakt etwas, was „gewisse deutsche Kreise“ Frankreich aufgezwungen hätten, und fordert eine Neudefinition des Euro: er dürfe weicher sein als die D-Mark und müsse einen möglichst großen Teilnehmerkreis umfassen. Auch Wahlsieger Blair wandte sich bei seinem ersten EU- Gipfel im niederländischen Noordwijk am 25. Mai gegen die deutschen Vorstellungen und sagte: „Europa muß sich auf das besinnen, was die Menschen betrifft – Arbeitsplätze, Wettbewerbsfähigkeit, Umweltschutz und Verbraucherrechte.“
Kommt nun die von der Sozialdemokratie erträumte gemeinsame linke Führung in Europa? Die SPD zumindest hofft das. In einem gemeinsamen Papier legten Jospin und SPD-Chef Oskar Lafontaine am vergangenen Dienstag gemeinsame europapolitische Grundsätze vor: „Die Währungsunion ist kein Selbstzweck“, heißt es da. Gefordert werden unter anderem „ein Europäisches Bündnis für Wachstum und neue Arbeitsplätze“, „die Einführung effektiver Mindeststeuersätze“ und „eine am Produktivitätsfortschritt ausgerichtete Lohnpolitik und dadurch ermöglichte flexiblere Arbeitszeitregelungen“.
Vor allem dem letzten Punkt würde Blair, der die thatcheristischen Reformen des Arbeitsmarktes gutheißt, wohl sofort zustimmen. In seinem Glückwunschtelegram an Jospin macht sich Lafontaine gleich selber mit zum Sieger. Er spricht von einer europaweiten Hoffnung auf mehr Arbeitsplätze und soziale Sicherheit und erklärt: „Laß uns gemeinsam dafür sorgen, daß sich diese Hoffnung der Menschen in ganz Europa erfüllt.“
Kein Wunder, daß da die konservative deutsche Position bröckelt, zumal nach Waigels Krieg mit der Bundesbank. Seit gestern beraten die EU-Außenminister in Amsterdam über den Vertragsentwurf der niederländischen EU-Ratspräsidentschaft zur Revision der Maastrichter Verträge von 1991. Er enthält ein Kapitel zur Beschäftigungspolitik – gegen den Widerstand Deutschlands. „Die Mitgliedsstaaten und die Gemeinschaft werden auf eine gemeinsame Strategie für Beschäftigung hinarbeiten“, heißt es relativ vage. Es liegt nun an den Regierungen Jospin und Blair, das mit Leben zu füllen. Nicht vergessen werden darf hier jedoch, daß die nationalen Unterschiede beträchtlich bleiben – was im Gerangel der EU- Diplomatie oft wichtiger ist als parteipolitische Positionierung. Jospins Ruf nach einer europaweiten Wirtschaftspolitik entspricht dem alten Drängen der französischen Rechten nach einer politischen Instanz, die die Macht der Bundesbank oder der geplanten Europäischen Zentralbank brechen könnte. Erst letzte Woche meinte der konservative französische EU-Währungskommissar Yves- Thibault de Silguy, daß der im Dezember 1996 beschlossene „Stabilitätsrat“ zu so etwas dienen könnte: „Es gibt keinen Grund zu versuchen, seine Rolle präzise zu fassen oder sein Tätigkeitsgebiet zu begrenzen“, sagte er. „Er muß in der Lage sein, alle wirtschaftlichen Fragen zu behandeln, die für die Teilnehmerländer an der Währungsunion von gemeinsamem Interesse sind.“ Für die britische Labour-Regierung wiederum ist genauso wie für ihre Tory-Vorgänger eine Ausweitung europäischer Befugnisse in der Wirtschaftspolitik undenkbar. Die konservative Times merkt in einem Kommentar zu Jospins Sieg hämisch an: „Die Erniedrigung Chiracs und die Stärkung der Linken in Frankreich – und zu einem gewissen Ausmaß in Deutschland – wird Blair das Leben schwerer machen und die Kräfte von Old Labour in London ermutigen.“ Dominic Johnson
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