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■ SchlaglochWir Wirtschaftswaisen Von Friedrich Küppersbusch

„Eine Million, jetzt für 10 Pfennig!“

Ich vor 29 Jahren

Lila Lappen, schulheftgroß, auch blaue Tausender mit Engelchen und grünliche mit fettschwarzem Aufdruck: „Eine Milliarde Reichsmark“. Gingen gut weg in der Marktlücke zwischen Fußballsammelbildern und dem Glitzerkram, den die Mädchen tauschten. „Ich bin Millionär!“ wedelten meine Kunden zufrieden über den Schulhof. Meine dickköpfige Großtante soll bis zum Ende von dem Papiervermögen gezehrt haben. Wollte der Briefträger Nachporto, verhängte sie einen Klaren gegen ihn – „is ja doch kalt draußen heute“ – und dann Inflationsgeld bis zum Abwinken. Entweder ist der getreue Postler darüber Alkoholiker geworden oder Numismatiker. Als die Großtante starb, war noch ein Stapel Scheine übrig, und ich erbte Milliarden.

„Goldmark!“ sei dann die Rettung gewesen, nutzte der Lehrer die währungspolitischen Turbulenzen in der 2. Klasse zu erbaulichen Erläuterungen. Was uns den Wert des Goldes lehrte wie den des Geldes: Am Ende habe man für eine Million nur noch ein halbes Ei bekommen. Macht 10 Pfennig, dachte ich mir, und: So dumm war die Tante nicht, die Dinger 40 Jahre zu verwahren.

Gold = gut, Papier = doof, Finanzpolitik = ganz schön behämmert. Dies Kollektivtrauma der Deutschen hatte sich damit im Handumdrehen, Handaufhalten dominant vererbt. Omas und Opas erläuterten, diese Bank... sei die schlechteste Note, die man je von der Schule nach Hause gebracht habe. Ein Rudel Siebenjähriger hatte seine volkswirtschaftliche Grundausbildung bekommen. Nicht genug Gold fürs Geld ist eine Urangst und die Goldreserve ein Intimbereich der Deutschen. Da faßt keiner hin! Schuljahre später kam die Indizienkette „Inflation- Arbeitslosigkeit-Hitler-Krieg“ hinzu. Formidable Tarifabschlüsse der 70er – ÖTV-Chef Kluncker wollte von Brandt 11 Prozent für den Wahlsieg – belebten den Preisanstieg. Und bestätigten den Ruf der Sozis, nicht mit Geld umgehen zu können. Das Helmut-Schmidt- Dogma „Lieber sechs Prozent Inflation als sechs Prozent Arbeitslose“ konnte nicht greifen, waren Inflation und Arbeitslose doch Zwillinge, wie man gelernt hatte.

Also Kohl. Macht zwei Prozent Inflation und zehn Prozent Arbeitslose. Nun müßte man wohl schon Volkswirtschaft studiert haben, um hier sachgerecht mitdiskutieren zu können. Die Kohl-Regierung überschuldet sich, also setzt die Bundesbank die Zinsen rauf, macht das Geld teurer, damit's keine Inflation gibt. Dann macht die Bundesbank des Geld billiger, damit mehr davon in Umlauf kommt, damit mehr investiert wird, damit es keine Inflation gibt. Oder in Frankfurt regnet's, und Graf Lambsdorff legt ein Ei, damit es keine Inflation gibt. Ist ja auch egal. Jedenfalls sind wir jetzt 15 Jahre mit der Angst vor der Geldentwertung diszipliniert worden. Wobei seit 1948 kein Preisanstieg auch nur annähernd in die Nähe dessen kam, was man zu Recht Inflation hätte nennen können. Lohnerhöhungen jedenfalls sind von Übel, heißen neuerdings Keynesianismus und gelten mit ihm als gescheitert. So muß man das sehen. Zumindest, wenn man in der FDP was werden will. John Maynard Keynes vertrat in etwa die Meinung des Deutschen Einzelhandelsverbandes, war also eher ein Linksradikaler: „Wenn die Leute was kaufen sollen, müssen sie Geld haben.“ Oder Henry Ford: „Autos kaufen keine Autos.“ Wahrscheinlich Kommunist.

Nun ließe sich folgern, daß die Preisstabilität allein keine Arbeitsplätze bringt. Oder doch andersrum: daß die Preisstabilität, wie jede gute Medizin, erst mal wirken muß. Wenn zur ersten Theorie vielleicht Sie, Herr Lafontaine...? – „Deficit-spending! Arbeitsbeschaffungsprogramme!...“ – Ja, danke. Und die Gegenmeinung... ja, Westerwelle? – „Schuldenkönig! Sozialismus!“ Ah ja, schönen Dank. Das wäre ja ein toller Wahlkampf geworden. Wohl entlang der alten Frontlinie, daß die Sozis Wohltaten versprechen, die sie nicht bezahlen können. Und die Schwarzen Wohltaten versprechen, die wir dann bezahlen können.

Nun steht die Koalition ratlos vor einem neuen Haushaltskrater – keiner weiß mehr, der wievielte unter Waigel – und hat ein paar eilig zusammengeschusterte Rezepte dagegen: T-Aktien verkaufen, Autobahnraststätten, Bundesimmobilien. Gold neu bewerten. Reflexartig springt die Kommentiermaschine an: „Tafelsilber verkaufen“ – „Waigels letzte Tricks“. Und als Bild vor 14 Tagen die gelbe Karte zückte, „Herr Waigel, so was geht nur einmal“, schien die Sache in die geregelte Bahn zu laufen: Irgendwie ahnt man, daß der Ärger im Sande verläuft. Und richtig, nach der ersten Ola melden sich die Experten zu Wort, die die Sache mit der Goldneubewertung so schlimm nun auch nicht finden. Das Handelsblatt ist schnell mit den Zahlen zur Stelle, die belegen, daß alle europäischen Nachbarn ihr Gold höher bewerten als wir. Die FAZ weist darauf hin, daß 99 die Neubewertung selbst im Maastricht-Vertrag vorgesehen ist, und in der taz gibt ein Wirtschaftsweiser Entwarnung: „Bitte Ruhe“, patscht der Lehrer in die Hände, „alles auf seine Plätze. Wo waren wir stehengeblieben?“

Mag sein, daß manche trotzdem noch immer an das alte Klischee glauben: „Die Schwarzen können auch nicht mit Geld umgehen, aber irgendwie besser.“ Was für einen knappen Wahlsieg immer noch reichen dürfte. Zu den letzten Wahlkämpfen verschickte ein gewisser „Helmut Kohl, Adenauerhaus, Bonn“ noch Rundschreiben an unsere „lieben älteren Mitbürger“. Des Inhalts, daß deren Rente sicher sei und man daher seine Mannen wählen solle. Glatt gelogen, prima gelaufen. Bei der Steuerreform prahlt die Koalition mit „30 Milliarden Nettoentlastung“, Begründung sinngemäß: „uns ist halt danach“ oder so, kapiert doch eh kein Schwein mehr. Je nach Verlauf der weiteren Schulkarriere stöhnt man: „die da oben...“ oder „ich hab' Mathe in der 11. abgewählt und bin privat versichert“.

15 Jahre hat die regierende Koalition manchen Mumpitz aneinandergereiht. Wer seit Anfang der 80er stets „Jetzt reicht's, Herr Kohl!“ rief – der sollte nicht warten, daß der gleiche Ausruf beim 100. Versuch noch irgendeinen Effekt erzielt. Allerdings ist etwas derzeit neu: Finanzpolitisch hat sich die Bundesregierung zum erstenmal komplett eingemauert. Geht sie ans Gold, verletzt sie zumindest Verfassungstradition, nämlich die der Bundesbank-Autonomie. Macht sie statt dessen noch mehr Schulden, verletzt sie die Verfassung an anderer Stelle, weil die Neuverschuldung die Investitionen übersteigt. Tut die Bundesregierung nix von beidem, schrägt sie Maastricht. Das hätte etwas sehr Deutsches, die Sozialpolitiker von halb Europa mit strengen Kriterien durchzufoltern, die man am Ende dann selbst nicht einhält. Sicher ist, und insoweit möchte ich als Praktiker Herrn Waigel Einblick in die Marktmechanismen geben: Ich habe später dann noch mit einigem Erfolg Streichholzschachteln verhökert, die mein Vater als Werbegeschenke aus der Firma mit nach Hause brachte. Meine Inflationsgeld- Kundschaft hat allerdings nicht mehr angebissen.

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