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Einsicht kommt nach dem Fall

Eine Körperverletzung mit Todesfolge bringt zwei Jugendliche mit erschreckendem Strafregister hinter Gitter. Dramaturgie einer Verhandlung  ■ Von Barbara Bollwahn

Von äußerst brutalen Jugendlichen spricht die Staatsanwaltschaft. Die Jugendgerichtshilfe dagegen setzt auf Einsicht. Sie glaubt an gute Aussichten auf Besserung – vorausgesetzt, das Gericht verurteile die drei Jugendlichen zwischen 17 und 19 Jahren, von denen sich zwei wegen Körperverletzung mit Todesfolge verantworten müssen, zu Bewährungsstrafen. Allen dreien zusammen wird zudem vorgeworfen, ein Pärchen und Jugendliche grundlos angegriffen und schwer verletzt zu haben.

Doch Staatsanwältin Sigrid Nielsen bleibt hart. Auch wenn die Angeklagten ihre Schuld größtenteils einräumten, fordert sie Haftstrafen zwischen anderthalb und vier Jahren. „Aus reinem Spaß am Ausleben brutaler Gewalt“ hätten zwei der Angeklagten am 15. November vorigen Jahres – dem Geburtstag eines der Angeklagten – einen 51jährigen Mann am Bahnhof Friedrichstraße geschlagen und getreten. Er fiel eine Treppe hinunter und knallte mit dem Hinterkopf auf den Boden. Auch als ihr Opfer reglos am Boden lag, hätten die drei Jugendlichen aus Treptow weiter auf ihn eingetreten.

Daniel B. sei besonders brutal gewesen. Er habe den Mann auf übelste Weise beschimpft und angerempelt. Die anderen habe seine Aggressivität angesteckt. Vor Gericht hatte er zu seiner Verteidigung behauptet, von dem Mann eine Ohrfeige bekommen zu haben – was weder sein Freund Frank noch eine Zeugin bestätigten. Der Mann, der sich zuvor in der S-Bahn über das laute Pfeifen der Jugendlichen beschwert hatte, starb zwölf Tage später an den Folgen der Kopfverletzungen. Er war nicht wieder aus dem Koma aufgewacht.

Ein Angeklagter: „Das war Scheiße“

Zur Begründung der beantragten Haftstrafen führt die Staatsanwältin das lange Vorstrafenregister der Angeklagten an. Die drei bringen es zusammen auf etwa 140 Ermittlungs- und Strafverfahren wegen Diebstahl, Körperverletzung, Einbruch und räuberischer Erpressung. Trotz der Einstellung mehrerer Verfahren und dem Verhängen von Auflagen – die Jugendlichen schlugen alle Chancen in den Wind. Auch nach der Verurteilung zu mehrmonatigen Bewährungsstrafen im vergangenen Jahr waren sie weiter straffällig geworden. Die mehrmals ausgesprochene Hoffnung der Gerichte, daß sie unter Androhung einer Haftstrafe und mit pädagogischer Betreuung straffrei bleiben würden, erfüllte sich nicht.

Zwei der drei Angeklagten, die seit November vergangenen Jahres zum ersten Mal hinter Gittern sitzen, zeigen sich nach sieben Monaten Untersuchungshaft reuig. „Ich bin der mit dem Faustschlag“, sagt Daniel B. zu einem Zeugen, dem er im Sommer vergangenen Jahres die Nase gebrochen hatte. Dessen Frage nach dem Warum beantwortet der Angeklagte mit den Worten: „Das war Scheiße.“

Der Angeklagte Frank F. weint lautstark, als sein Werdegang vor Gericht geschildert wird: Mit einem Alkoholiker als Vater und einer Mutter, die mehr in Frauenhäusern als zu Hause war, wuchs Frank, ähnlich wie die beiden anderen, auf sich allein gestellt auf. Zuwendung oder Wärme haben sie nie erfahren. Die Schule hat keiner von ihnen beendet. Mit Straftaten versuchten sie, ihre Unzulänglichkeiten zu kompensieren.

Frank F. bekam schließlich im vergangenen Jahr auf seinen ausdrücklichen Wunsch hin einen Platz in einer betreuten Wohngemeinschaft in Mitte zugewiesen. Das Problem daran: In der gleichen WG war bereits sein Kumpel Daniel B. „Das war der Anfang vom Ende“, sagte seine Bewährungshelferin vor Gericht. Auch der dritte Angeklagte kam später in die von der „Freien Hilfe e.V.“ betreute Einrichtung. Gemeinsam begingen sie diverse Straftaten. Vor Gericht schoben sich Jugendhilfe und Bewährungshelfer gegenseitig den Schwarzen Peter zu. Das „Gerangel der Ämter“ sei Schuld gewesen, sagt ein Betreuungshelfer. Angesichts der knappen Plätze sei „Mut zum Risiko“ gefragt gewesen, meint ein anderer. Es sei „ein Versuch“ gewesen, so eine Sozialarbeiterin. Nur ein Vertreter der Jugendgerichtshilfe übt Kritik: „Drei delinquente Jugendliche in einer WG ist pädagogisch nicht tragbar.“

Das Gericht folgte gestern weitgehend den Anträgen der Staatsanwaltschaft und verurteilte Daniel B., gegen den noch ein Verfahren anhängig ist, zu drei Jahren und sechs Monaten Haft. Frank F. muß für zwei Jahre und neun Monate hinter Gitter. Der dritte Angeklagte, der nicht an der Körperverletzung mit Todesfolge beteiligt war, muß vier Wochen in Jugendarrest.

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