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Die Basis stimmt der Führung zu

Frankreichs Kommunisten werden in die Regierung Jospin eintreten. Mit der Entscheidung für die Koalition hat sich Parteichef Robert Hue gegen die Skeptiker durchgesetzt  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Die Genossen haben zugestimmt. Sechs Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und wenige Monate nach ihrem eigenen Mutationsparteitag werden die französischen Kommunisten erneut in eine Koalitionsregierung gehen. Zweimal hat das 152köpfige Nationale Komitee getagt, zweimal hat die Zentrale ihre 15.493 Zellen im Land befragt. Dann hat gestern morgen das höchste Parteigremium, das Nationale Büro, das Machtwort gesprochen: Die Kommunisten nehmen die zwei Ministerien und das eine Staatssekretariat, das die Sozialisten ihnen anbieten.

Der kleine kompakte Parteichef Robert Hue, der das alles eingefädelt hat, überschlägt sich schier vor Freude über diese Entwicklung. Er nennt sie „außerordentlich, positiv und hellsichtig“. In einem schwarzen Anzug mit feinen, weit auseinanderliegenden Nadelstreifen berichtet er am Dienstag abend im Pariser Hauptquartier von seinem morgendlichen Gespräch mit dem Sozialistenchef und frisch gekürten Premierminister Lionel Jospin. Es war „sehr lang“, „sehr tief“ und „sehr reich“, lobt der Kommunistenchef. Aber was Jospin tatsächlich gesagt hat und ob er irgendwelche Zugeständnisse gemacht hat, verrät er nicht. „Ich gehe nicht ins Detail“, sagt er, das sei „nicht elegant“. Der Premier müsse seine Vorschläge selbst bekanntgeben.

Hinter den per Fernsteuerung verschlossenen, zentimeterdicken und angeblich abhörsicheren Türen des unterirdischen Versammlungsraums im Hauptquartier der KPF beraten die Mitglieder des Nationalen Komitees zwei Stunden lang über Hues Empfehlung, in die Regierung zu gehen. Der Abgeordnete Maxime Gremetz aus dem Industriegebiet bei Amiens sagt, daß er nicht mehr weiß, wie er seinen Wählern in die Augen sehen soll. Er ist nicht grundsätzlich gegen eine Regierungsbeteiligung, aber „die politischen Bedingungen“ seien „nicht gegeben“. Hue habe „nichts für die Rechte der Betriebsräte, keine Lohnerhöhungen und nichts in Sachen Maastricht-Kriterien“ erreicht, schimpft er. Die KPF könne „eine konstruktive Rolle spielen“ und „schwerer wiegen“, wenn sie sich sich vorerst darauf beschränke, „Scharnier zwischen Parlament und sozialen Bewegungen“ zu sein.

Aber das will außer ihm fast niemand. Die zahlreichen Skeptiker, die im Wahlkampf noch daran erinnerten, wie die Sozialisten die KPF zwischen 1981 und 1983, bei der letzten Koalition, eingeseift haben, sind verstummt. Die knapp zehn Prozent der Stimmen, die bei diesen Wahlen erstmals seit 19 Jahren den Abwärtstrend umgekehrt haben, und vor allem die sensationellen 39 Parlamentsmandate, geben Hue Recht. Euphorie allerdings will nicht aufkommen. Hinter den verschlossenen Türen soll viel von „Risiken einer Koalition“ und von der nötigen „Wachsamkeit der Kommunisten“ die Rede gewesen sein. Aber heraus kommen am Ende bloß zwei Gegenstimmen und zwei Enthaltungen. Alle anderen NK-Mitglieder sind dafür.

Das Weitere ist Formsache. In der 97jährigen Geschichte der KPF hat die Basis nie gegen eine Empfehlung des ZK votiert. An dieser Tradition hat sich nichts geändert, seit die Partei das Gremium umbenannt hat. Am Dienstag abend tritt Hue vor die Presse, kündigt die in den Nachtstunden bevorstehende zweite Konsultation der Basis an. Und läßt zugleich keinen Zweifel daran, daß er am nächsten Morgen das gewünschte Ergebnis haben wird.

An der Basis wissen viele Kommunisten nicht, worüber sie eigentlich abstimmen. „Was bietet Jospin tatsächlich?“, faxt eine Betriebszelle an die Zentrale. „Toll, daß wir in die Regierung gehen“, erklärt ein kommunistischer Postler bei der stundenlangen Nachtsitzung und schließt die Frage an: „Aber was werden wir da tun?“

Robert Hue, der selbst kein Ministerium übernehmen wird, hat sein persönliches Schicksal mit dieser Regierungsfrage verbunden. Das weiß die Basis. Und die Mehrheit von ihnen hat schließlich im vergangenen Dezember beim 29. Parteitag der Hue-Linie zugestimmt. Aber die Themen des kommunistischen Wahlkampfes, die Erhöhung des Mindestlohns, die 35-Stunden-Woche ohne Lohneinbuße, der Ausstieg aus dem Euro, all das haben sie schließlich wochenlang in der Kampagne vertreten und landesweit plakatiert. Einer der Sprecher des langen Eisenbahnerstreiks von 1995, der CGT-Gewerkschafter Bernard Thibault, der auch im NK sitzt, sagt, daß er deutliche Zeichen von Jospin bei dessen erster Ansprache erwartet.

Im übrigen bleibt den Kommunisten, anders als 1981, als die Gewerkschaften noch „Transmissionsriemen“ waren und Streiks gegen kommunistische Minister tabu waren, heute auch diese Möglichkeit. Der Chef der CGT, Louis Viannet, ist beim letzten Parteitag schon prophylaktisch aus der KPF- Spitze ausgetreten. Am 10. Juni, beim Aktionstag gegen die Arbeitslosigkeit, werden die Kommunisten in der Regierung erstmals erleben, wie es ist, wenn die Basis gegen sie demonstriert.

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