: Gemäßigte Islamisten hoffen auf den Wahlsieg
■ Scheich Mahfud Nahnah und seine MSP sind die Erben der verbotenen FIS
„Haben sie Arbeitsplätze geschaffen?“ fragt der Redner oben auf der Bühne. „Nein!“ schreien die Zuschauer unten wie aus einer Kehle. „Sind sie kompetent genug, um das Land zu verwalten?“ Die Antwort ist die gleiche. Der Vorsitzende der Bewegung für eine Gesellschaft des Friedens (MSP), Scheich Mahfud Nahnah (55), trifft den Nerv der zu Tausenden ins Fußballstadion der Stadt Constantine, 300 Kilometer östlich von Algier, geströmten Zuhörer. Er verspricht, was alle wollen: eine bessere Zukunft.
Die Wahlkampfveranstaltungen der MSP haben Zulauf wie die keiner anderen Partei. Der ehemalige Lehrer, der sich selbst nicht zur Wahl stellt, um in drei Jahren für das Amt des Staatspräsidenten kandidieren zu können, erreicht viele derer, die nach fünf Jahren Militärherrschaft in Algerien die Hoffnung verloren haben. Viele, die ihm heute zujubeln, wählten einst die Islamische Heilsfront (FIS), deren Wahlsieg 1991 einen Militärputsch nach sich zog. Wahlprognosen sagen der MSP zwischen 25 und 30 Prozent voraus. 1991 waren es nur knapp 3 Prozent, ebensoviel wie an-Nahda, der zweiten islamistischen Partei, die diesmal antritt, prophezeit werden. Scheich Nahnahs Partei hat gute Chancen, zum Alleinerben der verbotenen FIS zu werden. Auch ein Aufruf der FIS-Exilleitung, den Urnengang zu boykottieren und auf keinen Fall für die „Verräter“ der MSP zu stimmen, die mit zwei Ministern an der von Staatspräsident Liamine Zéroual eingesetzten Übergangsregierung beteiligt sind, konnte den Zulauf nicht bremsen.
Islamistisch genug, um in den einstigen FIS-Hochburgen auf Sympathie zu stoßen, und gleichzeitig so moderat, daß er bei vielen die vorhandenen Befürchtungen vor einer religiös geprägten Regierung zerstreuen kann, zitiert Nahnah gern aus dem Koran und dem islamischen Recht, der Scharia, um sich im nächsten Augenblick für Demokratie und Rechtsstaat stark zu machen. Den alten Namen seiner Partei, „Bewegung für eine islamische Gesellschaft“, legte er – wenn auch unter Druck eines neuen Parteiengesetzes, das religiöse Initialen verbietet – ebenso schnell ab wie sein traditionelles arabisches Gewand. Mahfud Nahnah füllt sich mit dem neuen Namen genauso wohl, wie in seinem maßgeschneiderten dunkelblauen Anzug, den er auf seiner Wahlkampfreise trägt.
Ob große Städte oder kleine Dörfer, der MSP-Vorsitzende schreckt selbst vor den als „Dreieck des Todes“ bekannten Stadtteilen Eukalyptus und Scherarba in der Banlieu Algiers nicht zurück. „Frieden durch entschlossenes Vorgehen gegen den Terrorismus“ verspricht er den dort Versammelten und versucht so seine größte Konkurrenz, die eigens zur Unterstützung von Staatspräsident Zéroual gegründete Nationaldemokratische Versammlung (RND), mit deren Hauptthema aus dem Feld zu schlagen.
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