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Notwendiges Übel

■ Chemieindustrie-Einigung auf mehr Flexibilität

Ohne die kollektivvertraglichen Vereinbarungen über Löhne, Arbeits- und Mitbestimmungsbedingungen sähe es für die Beschäftigten düster aus. Es waren die zwischen den Tarifparteien vereinbarten Flächentarifverträge, die den Lohnabhängigen einen erträglichen Lebensstandard garantierten und zugleich Schutz vor unternehmerischer Willkür gewährten. Daß die Gewerkschaften deshalb zu erheblichen Kompromissen bereit sind – wie jetzt die IG Chemie –, um zumindest die Kernelemente des Flächentarifvertrages zu sichern, versteht sich deshalb von selbst.

Doch auch der Kapitalseite bot der Flächentarifvertrag ein Stück Sicherheit. Er garantierte gleiche Wettbewerbsbedingungen und vermied gleichzeitig archaische Grabenkämpfe von Betrieb zu Betrieb. Doch diese Vorteile wiegen für viele Unternehmen nicht mehr so schwer. Davon zeugt die Flucht aus den Tarifverträgen – vor allem in Ostdeutschland. In der dortigen Metallindustrie sank der Organisationsgrad der Unternehmen dramatisch. Um die kollektive Lohngestaltung wenigstens im Kern zu retten, sah sich die IG Metall gezwungen, sogenannten Härteklauseln im ostdeutschen Tarifvertrag zuzustimmen. Sie erlauben es notleidenden Unternehmen, für begrenzte Zeit Löhne unter Tarif zu zahlen. An diesem Muster orientiert sich der jetzt in der westdeutschen Chemiebranche gefundene Abschluß. Ihm werden vergleichbare Verträge in anderen Branchen folgen. Auch in der westdeutschen Metallindustrie. Dafür sprechen die ostdeutschen Erfahrungen. Die dortige Härtefallregelung hat sich bewährt und dazu beigetragen, „den Flächentarifvertrag zu stabilisieren“, lautet die vorläufige Bilanz des IG-Metall-Vorstandes.

Und um diese Stabilisierung geht es. Die im Chemiebereich nun gültige Öffnungsklausel kann einen Beitrag dazu leisten. Für die Skeptiker müßte sie auch deshalb akzeptabel sein, weil die Lohnabsenkung damit nicht erzwingbar ist. Denn die Betriebsräte und die IG Chemie verfügen über ein Vetorecht. Unternehmer, die ohne wirtschaftliche Not auf Lohndrückerei hoffen, kommen deshalb nicht zum Ziel. Wenn die Gewerkschaften zu starr geblieben wären, würden sie Gefahr laufen, bei den Tarifverhandlungen bald allein am Tisch zu sitzen. Walter Jakobs

Bericht Seite 4

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