Bluff oder kein Bluff?

Vor der heute beginnenden EM fragen sich die deutschen Basketballerinnen, ob sie wirklich gut sind  ■ Von Joachim Fahrun

Bremen (taz) – Irritation herrscht bei den deutschen Basketballfrauen. „Sind wir wirklich so gut“, lautet die fast bange Frage vor dem ersten Gruppenspiel der Europameisterschaft am heutigen Freitag gegen Spanien. Denn die deutschen Frauen, eigentlich ein unbeschriebenes Blatt, haben in der Vorbereitung auf das Turnier in Ungarn eine fast unheimliche Siegesserie gegen höher eingeschätzte Konkurrenz hingelegt. Nachdem Titelverteidigerin Ukraine mit 20 Punkten den kürzeren zog, mußten am letzten Wochenende in Bremen Vize-Europameisterin Italien und die EM- Fünfte Litauen dran glauben. Gegen Olympiasiegerin USA gab es mit dem 56:68 zwar eine Niederlage, aber eine ehrenvolle.

Schlüssel zu den Erfolgen waren aggressive Defense und sichere Freiwürfe. Und unter den Brettern dominierte man nach Belieben. Ein Verdienst von Heike Roth und insbesondere Marlies Askamp. Die 26jährige Centerin vom deutschen Meister BTV Wuppertal bewies in Bremen, warum Phoenix Mercury die 1,91 Meter große Frau für die erste Saison der neuen Profiliga WNBA (ein Ableger der Männerliga NBA) angeheuert hat. „Sie ist stark, schnell und hat ein gutes Timing beim Rebound“, lobte die amerikanische Nationaltrainerin Nell Fortner.

Aber was sind die Siege in der Vorbereitung wert? „Alle haben geblufft, und nur die trotteligen Deutschen legen ihre Karten auf den Tisch“, maulte eine Funktionärin in Bremen. In der Tat haben sowohl Italienerinnen als auch die Litauerinnen munter gewechselt und lange Zeit ihren zweiten Anzug aufs Parkett geschickt. Für die Qualität der jungen deutschen Zuspielerinnen Andrea Hohl (Osnabrücker SC) und Andrea Harder (BTV Wuppertal) spricht jedoch, daß die Mannschaft nicht einbrach, als die erfahrene erste Garde der Gegnerinnen zur Aufholjagd blies. Und auch Bank-Spielerinnen wie Birgit Eggert (BG Chemnitz), Martina Kehrenberg (Wuppertal) und Stefanie Göttsche (Osnabrücker SC) sammelten Punkte, wenn die erste Fünf verschnaufte.

Bundestrainer Bernd Motte wollte vom Bluff-Gedanken nichts wissen: „Wir sind ein Nobody. Als Nichts kann man schlecht pokern.“ Man habe mit den Siegen Selbstvertrauen getankt für die EM. Nachdem Marlies Askamp erst in Bremen, aus den USA kommend, zur Mannschaft gestoßen war, mußte man dringend die Zonenoffensive unter Wettkampfbedingungen ausprobieren. „Das Team hat meine Vorstellungen zu 80 Prozent umgesetzt“, sagte Motte nach der ersten Halbzeit gegen Litauen. Der Mann ist anspruchsvoll: Immerhin hatten seine Spielerinnen gerade mit einer Trefferquote von mehr als 60 Prozent aus dem Feld die Frauen aus dem Baltikum um 23 Punkte deklassiert. Trotzdem dämpft Motte vor der EM die Euphorie: „Unser Ziel ist das Viertelfinale.“ Aber: „Wenn wir es nicht schaffen, ist es auch nicht so schlimm.“ Motte ist ein gebranntes Kind. Vor der letzten EM 1995 waren die Erwartungen hoch, am Ende schlichen die Deutschen ohne Sieg vom Parkett.

Diesmal jedoch scheint vieles möglich. Europas Elite ist zusammengerückt, nur die Russinnen und die deutsche Gruppengegnerin Spanien schätzt Motte stärker ein. Gute Resultate in Ungarn sind für den Deutschen Basketball- Bund mit Blick auf die Zukunft wichtig. Denn der DBB richtet im kommenden Jahr die Weltmeisterschaft aus, da kann Werbung nicht schaden. „Wir müssen zeigen, daß wir bei den Besten mithalten können“, sagt ein Verbandssprecher. Schließlich will der DBB den aktuellen Boom nutzen, um Basketball zur populärsten Frauen-Ballsportart zu machen. TV-Berichterstattung von der EM findet hierzulande nicht statt. Um Medieninteresse zu wecken, riskieren die Verantwortlichen sogar den Vorwurf des Sexismus: In Bremen tauschten die Spielerinnen ihre schlabbrigen Leibchen gegen hautenge, einteilige Bodies ein, mit denen die Australierinnen beim olympischen Turnier in Atlanta für Furore gesorgt hatten. Die Spielerinnen waren in Sorge, daß, „wenn man schießt, es hier und da schwabbelt“, so Flügelspielerin Stefanie Göttsche aus Osnabrück. Sophie von Saldern (Citybasket Berlin), die ein halbes Jahr in Australien spielte, überzeugte die Kolleginnen, sich in die Stretchanzüge zu zwängen. Das Experiment verlief durchwachsen. Immerhin bemängelte niemand die Paßform des neuen Outfits. „Die schwarzen Bodies sind o.k.“, sagte Centerin Heike Roth, die in Schwarz 25 Punkte gegen Litauen erzielte, „aber die gelben sind ein bißchen heftig.“ Die Mannschaft wird nun in einem anderen, hellen Dress antreten. Für Trainer Motte geht der Sport vor: „Wenn sich die Mädchen darin nicht wohl fühlen und die Konzentration darunter leidet, dann lassen wir das.“