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Heulen und Zähneklappern

Junge ZahnärztInnen haben gegen die alten keine Chance mehr – in den ärmeren Stadtteilen drohen Praxisschließungen  ■ Von Lisa Schönemann

Bei den rund 1250 Zahnärzten der Hansestadt herrscht dicke Luft. Seit April dürfen die alten Hasen mit den gut gehenden Praxen offiziell mehr verdienen als der Zahnklempner-Nachwuchs. Das wirft die Interessengemeinschaft „Wir Zahnärzte in Hamburg“der Kassenzahnärztlichen Vereinigung (KZV) vor, die den Verteilungsplan für den gemeinsamen Honorartopf entworfen hat. Wer sich erst nach 1990 niedergelassen hat, braucht die Mentalität eines Glücksspielers: Bis zu 250 Zahnärzte werden in den nächsten Jahren auf der Strecke bleiben, hat die Interessengemeinschaft „Wir Zahnärzte in Hamburg“ausgerechnet.

Da sich die Jüngeren vor allem in Stadtteilen mit geringer Zahnarztdichte wie Billstedt, Wilhelmsburg und Mümmelmannsberg angesiedelt haben, werden schmerzgeplagte Patienten dort in absehbarer Zeit vor verschlossener Praxistür stehen. „Durch den Beschluß der KZV geraten 1500 Arbeitsplätze in Gefahr“, warnt Michael Wagner, einer von 200 überwiegend jüngeren Zahnärzten in der Interessengemeinschaft. Viele Praxen hätten bereits Zahnarzthelferinnen entlassen müssen.

„Wir wollten uns ursprünglich nicht mit den älteren Kollegen duellieren, aber jetzt läuft es darauf hinaus“, sagt Wagner. In Berlin haben Zahnärzte bereits erfolgreich gegen ein ähnliches Verteilungskonzept geklagt. In Hamburg könnte die aufsichtsführende Gesundheitsbehörde (BAGS) der KZV theoretisch einen Rüffel erteilen. Bislang wurden die Streithähne lediglich aufgefordert, sich zu äußern. Gegen die neue Abrech-nungsregelung haben bereits 500 Hamburger Zahnärzte Widerspruch eingelegt.

Die neue Honorarverteilung ist so raffiniert, daß die meisten Zahnärzte nicht gemerkt haben, daß sie auf der Vollversammlung gegen ihre eigenen Interessen gestimmt haben. Das Jahresbudget wird seit 1. April derart auf die einzelnen Praxen verteilt, daß jeder nur so viel verdienen darf wie im Jahre 1994. Die etablierten Veteranen, deren Kassenzulassung erst mit 68 Jahren erlischt, werden damit leben können. Die Praxisneugründungen haben dagegen keine Chance, über die mageren Anfangsjahre hinauszukommen.

Dem Zahnarzt Stefan Schneider, der erst im Oktober 1996 in Eimsbüttel für 250.000 Mark eine Praxis übernommen hat, bleibt nur noch Galgenhumor. „Wenn ich Geld für neue Schuhe brauche, frage ich meine Frau“, seufzt er. 22.000 Mark Fixkosten jeden Monat für zwei Angestellte, für Miete und Kreditrückzahlung stehen den Einnahmen am Monatsende plus minus Null gegenüber. Sein Jahresbudget wird er etwa im Oktober ausgeschöpft haben. „Wer heutzutage als junger Zahnarzt Millionär werden möchte, ist auf die Lotterie angewiesen...“

Die Kassenzahnärztliche Vereinigung hat die Kritik zurückgewiesen. „Wir haben schon vor Jahren auf die finanzielle Entwicklung hingewiesen, wie sie jetzt eingetreten ist – kein Politiker wollte uns zuhören“, sagt KZV-Vorstandsvorsitzender Wolfgang Klenke und schiebt alle Schuld auf die Bonner Gesundheitspolitik.

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