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„Das unbefleckte nationale Identitätsgfühl ist erschüttert“

■ Peter Hug, Berner Historiker und Experte für Rüstungskontrolle, über Schweizer Selbstzweifel und die Aussichten der Initiative

taz: Wie stehen die Chancen der Initiative?

Peter Hug: Die Abstimmung fällt in eine Zeit, in der die Rolle der Schweiz während des Zweiten Weltkrieges und in den Jahren danach endlich offen diskutiert wird. Denn den Eidgenossen wird nicht nur mehr von einigen Kritikern zu Hause, sondern international ihr Kriegsgewinnlertum vorgehalten. Das erschüttert das seit Jahrzehnten gültige nationale Identitätsgefühl, das auf dem Selbstbild von der unbefleckten, humanitären und anderen Ländern moralisch überlegenen Schweiz gründete. Auf das Erwachen aus diesem schönen Traum reagiert die große Mehrheit der Eidgenossen mit Einigelung und oft aggressiver Abwehr. Das hat der Initiative gegen die Waffenexporte geschadet. Im Jahre 1991 oder auch während des Bosnienkrieges 1992 bis 95 hätte die Initiative sicher ein besseres Ergebnis erreicht, als morgen zu erwarten ist. Wahrscheinlich wird die ängstliche Krämerseele der Eidgenossen obsiegen.

Vertreter der bürgerlichen Parteien und Teile der Medien sehen in der Initiative einen Angriff auf die Armee, die Verteidigungsfähigkeit und damit die Souveränität der Schweiz. Sie erinnern dabei an den Zweiten Weltkrieg.

Für den ideologischen Diskurs über die Souveränität der Schweiz hat die eigene Rüstungsindustrie zwar eine große Bedeutung. Mit den wirtschaftlichen und industriepolitischen Fakten stimmen diese Behauptungen heute aber so wenig überein wie während des Zweiten Weltkrieges. Schon damals kaufte die Schweizer Armee Waffen und Ausrüstung im Wert von über zwei Milliarden Franken aus Deutschland und erhielt nur für 125 Millionen Franken militärische Güter von der heimischen Industrie. Denn den Löwenanteil ihrer Produktion verkauften die eidgenössischen Rüstungsbetriebe damals an Hitlers Wehrmacht. Die zahlte weit besser als die Schweizer Armee. Auch heute wird der überwiegende Teil der Ausrüstung für die Schweizer Armee im Ausland gekauft. Aber dies wird von den meisten weiterhin verdrängt.

Eine der Herstellerinnen von Kriegsmaterial ist die Firma EMS-Patvag AG des Nationalrats Christoph Blocher. Doch nach seiner Darstellung liegt das Schwergewicht der Firmenproduktion „bei der Herstellung von Zündsystemen für Airbags“.

Blocher ist der Kopf der Kampagnen gegen die Aufklärung und Anerkennung der Schweizer Schuld während und nach dem Zweiten Weltkrieg, gegen den von der Regierung geplanten Fonds für Holocaust-Überlebende sowie gegen die europäische Integration und einen UNO-Beitritt der Schweiz. Zugleich ist Blocher ein typisches Beispiel für den Schweizer Geschäftsmann, der in der Öffentlichkeit ungern von Waffen und anderen militärischen Dingen spricht. Statt dessen argumentiert er mit der „Unbedenklichkeit der Exportwirtschaft“. Die Rüstungsproduktion und -exporte seiner Firma hat er immer geleugnet.

Mit Blick auf die vorgeschlagenen Kontrollen und Beschränkungen von „dual use“-Gütern wirft Verteidigungsminister Villiger der Initiative vor, sie verlange „Unmögliches“.

Diese Panikmache ist absurd. Die Initiative geht in bezug auf „dual use“-Güter nicht über die ursprünglichen Gesetzesvorlagen der Regierung hinaus. Aber die wurden vom Parlament völlig verwässert. Die inzwischen beschlossene Neufassung des Gesetzes ist noch schlechter als das alte. Es wird nicht mehr möglich sein, daß der Bundesrat wie 1995 die Ausfuhr von Pilatus-Flugzeugen nach Mexiko stoppen kann, nachdem mit diesen Flugzeugen Chiapas-Indianer bombardiert wurden.

Nur 0,3 Prozent der Gesamtausfuhren sind Rüstungsexporte. Selbst wenn der tatsächliche Umfang unter Berücksichtigung illegaler Ausfuhren und Umgehehungsgeschäfte über Drittländer bis zu dreimal so groß sein sollte, wie die Initiative schätzt, wären dies keine relevanten wirtschaftlichen Interessen, die gegen ein Export von Kriegsmaterial stünden. Wie erklären Sie die intensive Gegenkampagne der Industrie?

Es geht dabei in erster Linie um die Neubestimmung oder besser: um die Abschaffung von Werten im Zeitalter der Globalisierung. Die Industrie will den Gedanken, daß wirtschaftliches Handeln aus Gründen von Verantwortung und Ethik in bestimmten Fällen Beschränkungen oder auch nur Kontrollen unterworfen werden sollten, endgültig aus den Köpfen der Menschen tilgen.

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