„Keinen Fisch“gibt es auch anderswo

■ Filmförderung in Bremen: Viele gute Stoffe, wenig dramaturgische Ausarbeitung / Fünf Projekte werden gefördert

Es erinnert an den Witz aus dem real existierenden Sozialismus. Kommt ein Mann zum Schlachter und fragt: „Haben Sie Fisch?“Sagt der Schlachter: „Nein, hier gibt es kein Fleisch. Gegenüber ist der Laden, in dem es keinen Fisch gibt.“Der Standort: Bremen. Der Schauplatz: Medienzentrum Walle, in dem nach dem Ratschluß einer Jury am gestrigen Sonntag 100.000 Mark kulturelle Filmförderung an fünf AntragstellerInnen vergeben wurden.

„Mit 100.000 Mark kann man keine wirkliche Filmförderung betreiben“, gibt der Juror, Dokumentarfilmer und Grimme-Preisträger Andreas Voigt unumwunden zu. Trotzdem hat der Berliner zusammen mit der Hamburger Filmemacherin Barbara von Poschinger, dem NDR-Redakteur Jochen Wolf sowie den beiden Filmbüro-MitarbeiterInnen Anja Telscher und Michael Flügger sein Wochenende über Exposés und Drehbuchentwürfen oder im Vorführraum verbracht. Der Grund: Bremen ist überall, und „keinen Fisch“gibt es auch anderswo.

Davon könnte Beatrix Schwehm ein Lied singen. Ihr schon vor zwei Jahren mit dem Bremer Dokumentarfilmpreis ausgezeichnetes Projekt „Die Kinder von Bulldogs Bank“wurde jetzt zum zweiten Mal prämiert. Schwehm will die Geschichte der jüngsten Überlebenden in Theresienstadt erzählen. Es sind sechs deutsch-jüdische Waisen, die im Lager aufgewachsen sind und sich nach Jahrzehnten zum ersten Mal wiedersehen.

Es ist noch immer eine „Geschichte mit starker emotionaler Kraft und einem überzeugenden dramaturgischen Konzept“, glaubt die Jurorin Barbara von Poschinger. Mit einer Zuschußzusage von 30.000 Mark kann Beatrix Schwehm den größten Anteil der Bremer Filmförderung einstreichen. Weil auch andere Jurys der ungezählten Fördereinrichtungen zum gleichen Urteil kamen, ist die Realisierung von Beatrix Schwehms Filmprojekt nach Poschingers Angaben sehr wahrscheinlich.

Antragstourneen sind die Regel. Sie kosten Kraft und vor allem Zeit. Ist es da nicht sinnvoller, die Beträgelchen der Bundesländer und der Kuratorien zu bündeln und die Filmförderung zu zentralisieren? „Nein“, bezieht Andreas Voigt im alten Föderalismusstreit energisch Position.

Bei Spielfilmen könne eine Zentralisierung zwar durchaus Sinn machen, gesteht er ein, doch beim Dokumentarfilm „ist das schädlich“. Denn Gremien mit dem großen Etat haben eine Affinität zu Großprojekten – der ohnehin randständige Dokumentarfilm könne genauso unter den Tisch fallen wie kleinere Projekte.

Projekte wie „Die Akte Walküra II“oder „Sebastian, Antje, Stefanie, Henrik und die anderen“zählen dazu. Beide Dokumtarfilmvorhaben wurden von der Jury aus den 33 Anträgen (davon 27 aus Bremen) ausgewählt und gefördert. „Die Akte Walküra II“von Werner Hackbarth ist die Geschichte eines journalistischen Fakes. 21.260 Mark sollen dazu führen, daß aus dem Entwurf ein Film wird. Als „Produktionsförderung – Materialsicherung“sind die 13.740 Mark deklariert, die Jörg Streese für sein Projekt „Sebastian, Antje, Stefanie, Henrik und die anderen“– laut Pressezettel ein Film über Freundschaften zwischen behinderten und nicht-behinderten Kindern – erhält.

Sind diese Themen typisch? Barbara von Poschinger und Andreas Voigt können diese Frage so nicht beantworten. Sie sprechen von den kleinen Ausschnitten, den focussierten Geschichten, in denen sich Gesellschaft widerspiegelt. Inhaltliche Trends und Moden? Fehlanzeige.

Aber immerhin wissen die AntragstellerInnen, daß der freie Dokumentarfilm nicht nur wegen der Förderungspraxis, sondern vor allem wegen der Konkurrenz des Fernsehens ein eher langsames Medium ist. Was sie sonst nicht wissen, will das Filmbüro fortan stärker vermitteln.

„Heute kann jeder eine Videokamera in die Hand nehmen, doch nur selten entstehen dabei vorzeigbare Filme“, so von Poschinger. Und Michael Flügger vom Filmbüro ergänzt, daß diese scheinbare Demokratisierung dazu geführt hat, daß Diskussionsprozesse ausbleiben, Kritik zu spät greift. Diese Entwicklung findet sich in den Anträgen wieder. Viele gute Ideen und Stoffe seien darunter – aber über die filmische Realisierung hätten sich die BewerberInnen viel zu wenig Gedanken gemacht, so das einhellige Urteil der Jury.

Die Empfehlung: Ein weiterer Ausbau der Beratung durch das Filmbüro und die Akzentuierung auf die Förderung der Stoffentwicklung. Was nicht nur Dokumentarfilmprojekten, sondern auch den Sparten Spielfilm, Animation oder Trickfilm nützen könnte.

Schon in den nächsten Tagen erhalten AntragstellerInnen, die nicht zum Zug gekommen sind, Post. Weil dem Filmbüro weitere 100.000 Mark Fördermittel in Aussicht gestellt sind, will die Jury einigen AntragstellerInnen Gelegenheit bieten, ihre „guten Stoffe“auch dramaturgisch durchzugestalten. Dies sind die KandidatInnen für eine mögliche zweite Ausschüttung im Herbst.

Ali Eichelbach und Axel Mehlem müssen nicht so lange warten. Eichelbachs Animationsfilm-Projekt „Neues vom Hühnerhof“wird mit 17.000 Mark und Mehlems Trickfilm „Sic! Eine Geschichte“mit 18.000 Mark gefördert.

Schlachter spielen in keinem der Projekte eine Rolle. Und „keinen Fisch“und „kein Fleisch“gibt es auch nicht. Schließlich ist Bremen auch kein Land im real existierenden Sozialismus. ck