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Sinnloser Fairneßappell

„Schiebung“-Rufe bei der Siegerehrung: In Berlin wurde der erste f6 Music Award für ostdeutsche Nachwuchsbands vergeben – an Everlasting  ■ Von Gunnar Leue

Es war einmal vor gar nicht langer Zeit, da wollte auch die DDR endlich ihren Popstar mit Weltniveau. Zufällig kreuzte ein Mann namens Jack Rieley die Bahn und versprach den Funktionären des DDR-Popwesens, einen jungen Burschen als neuen Prince groß rauszubringen. So was ward natürlich gern gehört, zumal von einem Produzenten, der von sich erzählte, schon mal mit den Stones zu tun gehabt zu haben.

Beeindruckt öffnete das Komitee für Unterhaltungskunst – ein Verein von Populärkulturfunktionären – das Devisensäckel, und Jens Müller alias „J.“ (später Jaye) konnte in einem Londoner Hinterhofstudio seine Weltkarriere starten. Leider endete der Plan wie die meisten DDR-Pläne als Riesenflop, und die Platte verkaufte sich anschließend nicht mal zwischen Rostock und Suhl. Was bis heute so blieb, da sie nun auch wieder nicht den typischen Ostrock Marke Puhdys oder Karat enthält. Der verkauft sich nach einer Wendeflaute derweil bestens. „Die Absatzzahlen widerspiegeln die Wertigkeiten wie zu DDR-Zeiten“, sagt Jörg Stempel, der früher unter anderem die Puhdys managte und heute Chef von Amiga ist. Das einstige DDR-Poplabel, nunmehr unter dem Dach der BMG Ariola, schaufelte diverse Best-of-Ostalgiemusik (bis hin zu Schalmeienliedern) aus dem Backkatalog in die Plattenläden, derzeit gerade eine 15teilige „DT 64-Story“.

Doch irgendwann ist das Ostfeld natürlich abgegrast, weshalb Amiga sein Heil nun beim ostdeutschen Musikernachwuchs sucht. Unterstützt von einer Zigarettenfirma, die ja auch nie weiß, wie lange noch beim Konsumenten der Appetit auf ihre Produkte währt. Die Marke f6 aus Dresden (gehört heute zu Philip Morris) kennzeichnet ebenfalls besondere Ostnähe, muß aber vorerst weniger Sorgen um ihre Klientel haben. f6 ist unangefochtener Marktführer im Osten, weil extrem stark, also ziemlich das Gegenteil der meisten Amiga-Recyclingware.

Die beiden Ostunternehmen mit Münchner Konzernmutter verbindet jedoch das Ziel, hiesigen Nachwuchsbands den Weg ins professionelle Musikgeschäft zu ebnen. Fortan wird alle zwei Jahre der f6 Music Award vergeben. In den ersten investierten die Tabakverkäufer eine Dreiviertelmillion und die Erfahrung, wie man „ein Ostprodukt mit eigenem Charakter erfolgreich im Markt plazieren“ könne, so f6-Promotionchef Becker-Sonnenschein. Ohnehin sei ja der Markenslogan „Geschmack verbindet“ auf den Musikwettbewerb übertragbar, schwelgte er in Marketingpoesie, als würde es dafür auch einen Preis geben.

Verbindend war auf jeden Fall die Nachfrage nach einem ostdeutschen Musikförderpreis, wie die Bewerbung von 669 Bands und Solisten beweist. Das Rennen machten letztlich Everlasting aus Leipzig, die sich jetzt über einen Vertrag mit BMG/Amiga für die Produktion einer Maxi-CD inklusive Managementberatung und Kurztournee durch die neuen Länder freuen können. Ob das der Beginn einer Karriere ist, weiß der Geier. Zumal das Finale am Wochenende in der Berliner Kulturbrauerei nicht ohne Peinlichkeit ablief.

Die Siegerehrung endete mit „Schiebung“-Rufen. Was den Everlasting-Sänger zu einem sinnlosen Fairneßappell ans Publikum verleitete. Erstens ist Fairneß keine relevante Kategorie im Musikgeschäft, und zweitens muß sich ein Musikpreis auch für den Stifter rechnen. Amiga will die Platte, die sie mit dem Gewinner produziert, schließlich auch verkaufen. Das gab schon beim sächsischen Landesausscheid einen „Millimetersieg“ für Everlasting gegenüber einer von den Musikern der Jury bevorzugten besseren Live-Band.

Der Sänger der Synthi-Pop- Band tröstete sich denn auch damit, daß sie immerhin von einer Jury zur größten neuen Ostrockhoffnung gekürt wurden, dessen Vorsitzender mit den Stones tatsächlich schon zu tun hatte: Fritz Rau. Und in der neben dem Sponsor und Amiga auch Musiker saßen. Zum Beispiel Tobias Künzel von den Prinzen, dem bisher einzigen Ostteam in der ersten Popbundesliga.

Vertreten war zudem das Ostberliner Kleinlabel Turbo Beat, das für den bisher größten Chartsbeitrag von Amiga sorgte. Mit ihrem Blödeltechno-Projekt „Sandmann's Dummies“ schürften sie beinahe Platten-Gold. Die ebenfalls von ihnen produzierte Berliner Popgruppe X-Perience erwirtschaftete mit ihrem fast europaweiten Hit „A Neverending Dream“ Gold und Geld dagegen schon nicht mehr für Amiga, sondern für WEA. Der Erfolg der Turbo-Beatler ist freilich immer noch die Ausnahme von der Regel, wonach der Aufschwung Ost im Popbereich nur mühsam vorankommt.

Einen Grund dafür sehen Rau und Stempel unisono im Zusammenbruch des DDR-Ausbildungssystems mit den Musikhochschulen nach der Wende. Von dessen Qualität schwärmt der 66jährige Konzertveranstalter in erstaunlich hohen Tönen, wobei er gern auf den Karat-Titel „Über sieben Brücken“ verweist, der bei den Auftritten seines Freundes Peter Maffay stets der Konzerthöhepunkt sei. Heute jedoch mangele es in der Karat-Heimat an Proberäumen, Studios, Auftrittsorten. Und an „Bescheidwissern“, die einer Band den Weg im Wirrwarr des Musikbusineß ebnen könnten.

Die von Amiga stellen sich da gern zur Verfügung, wohl auch aus Sorge um ihr Überleben als Bescheidwisser. Solange die Verkaufszahlen stimmen, kann Amiga mit dem Segen der Münchener BMG-Zentrale der Nachwelt ruhig „erhalten, was im Osten gut war“, gleichwohl hat Stempel erkannt: „Jetzt ist der Zeitpunkt, wo wir auch in andere Richtungen müssen, neue Themen finden und neue Künstler signen.“ Denn nur mit denen gelingt es, das Image als Ostalgie-Label zu „wandeln“.

Auf diese Neuentdeckungen hoffte man nicht zuletzt beim f6 Music Award. Doch der Osten zeigt sich auch hier etwas eigensinnig, von Anpassung an die im Westen angesagten Trends wie Rap oder Dance ist nichts zu spüren, wie die eingereichten Demo-Kassetten zeigten. Zwei Drittel aller 669 Bands und Solisten bewarben sich mit gemäßigt bis hammerhartem englischsprachigem Crossover-Rock. Everlasting mit ihrem Elektropop spiegeln insofern keineswegs den Mainstream des neuen Ostrock.

Den Vorlieben der Ostmusiker scheint Amiga wohl nur bedingt zu folgen. Jedenfalls nahm das Label schon mal vor dem Wettbewerbsfinale die einzige waschechte, jedoch im Vorausscheid gescheiterte Ostboygroup in die Warteschleife auf. Während die vier Teeniepopper nun erst richtig losträumen dürfen, hat Jaye die Singerei längst aufgegeben. Er macht trotzdem Riesenkarriere und -cash. Als Chef seiner eigenen Telekommunikationsfirma in Manhattan.

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