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Rio in Hellersdorf

Ostberliner Wohnungsbaugesellschaften wollen mit viel Geld und Ideen die Abwanderung aus den Plattenbausiedlungen stoppen – doch bisher vergebens  ■ Von Gunnar Leue

Mit südamerikanischem Flair, indianischen Skulpturen und bunten Hauswandmalereien soll die graue Platte im Osten Berlins freundlicher gestaltet werden. Für 70 Millionen Mark will die dortige Wohnungsbaugesellschaft WoHeGe nahe dem U-Bahnhof Neue Grottkauer Straße 2.800 ihrer 33.000 Wohnungen aufpeppen. Unter anderem mit „Mujarabis“, Holzgittern an Balkonen und Hauseingängen. Ideengeber ist das brasilianische Architekturbüro Brasil Arquitetura, das damit einen internationalen Wettbewerb von 80 Städtebauern, Architekten und Künstlern gewonnen hatte. Ob's was nützt und wie viele der zukünftigen 7.000 Schöner-Wohnen- Bewohner so vom Wegzug abgehalten werden, weiß nicht mal Manitu. Die irdischen Prognosen lauten zumindest, daß bis zum Jahr 2010 weitere 300.000 Berliner in den Speckgürtel ziehen – ein Großteil davon zweifelsfrei Plattenbausiedler.

Auch Ostler reizt das eigene Häuschen allemal mehr als die zum Kauf stehenden eigenen vier Plattenwände. Der Verkauf an die Mieter läuft äußerst schlecht. Die Fluktuation hat sich allein in Hellersdorf auf mittlerweile acht Prozent hochgeschraubt, was den einstigen Technischen Leiter der Wohnungsbaugesellschaft im Märkischen Viertel und heutigen WoHeGe-Chef Jack Gelfort vor kurzem konstatieren ließ, daß der „Erosionsprozeß“ bereits laufe. Aber auch der Verband Berlin- Brandenburgischer Wohnungsunternehmen ortet schon das Gespenst der „Verslummung“ in den Großsiedlungen.

Allerdings sehen die großen Wohnungsbaugesellschaften dem nicht tatenlos zu. In den letzten Jahren wurden knapp 200 Millionen Mark für Grünanlagen und Spielplätze ausgegeben. Mit dem Erfolg, daß sich die meisten Hellersdorfer, aber auch Marzahner und Hohenschönhausener in ihrem Kiez heimisch fühlen und die soziale Mischung noch immer so gut ist wie nirgendwo sonst in Ostberlin. Die Einkommen der überdurchschnittlich jungen und hochqualifizierten Familien liegen nicht nur höher als in anderen Ostbezirken, sondern auch über dem Niveau von Wedding, Kreuzberg oder Neukölln.

Leider gehören gerade diese Gutverdienenden oft nicht zu den 70 Prozent Bewohnern, welche sich einen Wegzug nie vorstellen können. Weshalb doch noch Realität werden könnte, was in den Klischeebildern vor allem der Westler schon 1990 ausgemalt war – die Ghettoisierung der Trabantenstädte.

Vor allem die Marzahner Hochhäuser entwickeln sich zu Problemhochburgen. In den nächsten zwei Jahren wollen 40 Prozent ihrer Bewohner raus aus den 18- und 21-Geschossern. Mit Konzepten wie einem umfangreichen Concierge-Service, sprich Pförtnerdienst, versucht die Wohnungsbaugesellschaft gegenzusteuern. Aber auch in kleineren Plattenbauten sind insbesondere große Wohnungen inzwischen schwer zu vermieten.

Die Erste Marzahner Wohnungsgenossenschaft mit 2.500 Wohnungen baut deshalb seit drei Jahren große zu kleinen um, die auch sehr gefragt sind. Dadurch konnte sie die Abwanderung bisher noch stets kompensieren. „Das Leerstandsproblem wird aber bald größer werden, denn der Trend zum Wegziehen ist ungebrochen“, sagt Burkhard Erdmann, Bewirtschaftungschef der Genossenschaft. Er betont, daß in den seltensten Fällen das Umfeld der Auslöser ist. „Die Leute verdienen ganz gut und wollen halt selber Wohneigentum, oder sie ziehen der Arbeit hinterher.“

Angesichts dessen wird auch die Genossenschaft bald mehr Sozialhilfeempfänger, als ihr vielleicht lieb sind, zur Miete aufnehmen. Im Gegensatz zu den landeseigenen Wohungsbaugesellschaften kann sie dazu nicht gezwungen werden. Um nicht alsbald mit Räumungsklagen gegen Mietschuldner vorgehen zu müssen, stellt die Genossenschaft Verträge mit Sozialhilfeempfängern erst aus, wenn das Sozialamt die Übernahme der Mietzahlung zugesichert hat. Das bewahrt das Sozialgefüge vor der befürchteten Schieflage, doch der anhaltende Abwanderungstrend wird auch der Genossenschaft künftig weniger potente Mieter bescheren.

Denn es ist keineswegs so, daß niemand mehr in die noch relativ preiswerte Platte zieht. Neben Sozialhilfeempfängern drängen vor allem Aussiedlerfamilien in den Osten. In Marzahn sollen schon etwa 6.000 Rußlanddeutsche leben, nicht zuletzt, weil sie hier schneller als anderswo eine Wohnung bekamen. Gleichzeitig wachsen die Probleme bei ihrer Integration. Den spektakulärsten Beweis für die – so Marzahns Ausländerbeauftragte Elena Marburg – „immer prekärer werdende Lage“ gab es im Februar. Da lieferten sich Aussiedlerkinder und Marzahner Kids eine verabredete Massenschlägerei, die in eine regelrechte Straßenschlacht ausartete.

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