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Tacheles im Klärungsprozeß

Alle wollen das Kunsthaus erhalten, aber keiner weiß, wie: Heute beginnt der Räumungsprozeß. Kulturgruppen aus Mitte fordern Erhalt  ■ Von Gereon Asmuth

In der Metallwerkstatt dröhnt Technomusik. Passanten schlendern durch die offene Tür und lassen die Blicke über die bizarren Objekte schweifen. Viel geändert hat sich hier nicht in den letzten Jahren. Noch nicht. Doch heute beginnt vor dem Landgericht der Räumungsprozeß gegen die Tacheles-Betreiber.

Kenan Sivrikaja hat fünf Jahren lang fast seine gesamte Zeit der Werkstatt gewidmet. „Den Rest von Berlin kenne ich eigentlich gar nicht“, meint der Türke. „Hier war ich immer frei, hier hat mir nie jemand reingeredet.“ Die mögliche Räumung scheint ihm unvorstellbar. „Glaubst du wirklich, die können das hier alles dicht machen?“ Seine Frage wirkt fast so, als würde er zum ersten Mal mit dem Thema konfrontiert. „Ich bin Künstler“, betont Sivrikaja. Die Streitigkeiten um den Tacheles-Vorstand und um die Pläne des Investors Fundus, der das Kulturhaus von der Oberfinanzdirektion (OFD) kaufen, das Gebäude sanieren und das Umfeld bebauen will, habe er nie wirklich verstanden.

Vier Jahre lang haben Fundus und der Tacheles-Verein um eine vertragliche Lösung für die seit 1990 besetzte Kaufhausruine gerungen. Ohne Erfolg. „Fundus war nie bereit, einen Partnerschaftsvertrag mit uns abzuschließen“, ärgert sich Ilia Castellanos, im Tacheles zuständig für die Kommunikation nach außen. Der Investor habe immer nur undurchschaubare Vertragsentwürfe vorgelegt, die die Autonomie der Künstler beendet hätten.

„Diese grundlegende Vereinbarung gab es sehr wohl“, entgegnet Projektkoordinatorin Toni Sachs- Pfeiffer, die sich im Auftrag von Fundus um eine Kooperation mit dem Tacheles bemüht. Bis heute hätten aber die Betreiber die vom Investor Fundus geforderten Nutzungskonzepte nicht vorgelegt.

Die OFD drängt auf Klarheit. Die Kaufverträge mit der Fundus- Gruppe seien unterschriftsreif, betont OFD-Sprecher Helmut John. Zwei Parzellen seien bereits verkauft worden. Die von der OFD eingereichte Räumungsklage richtet sich zunächst gegen den Tacheles-Verein und die Betreiber des Café Zapata. Zudem soll der Verein gezwungen werden, die anderen Nutzer des Gebäudes zu benennen. „Erst dann könnten wir auch gegen diese Nutzer Räumungsklage erheben“, erklärt John.

Die Schuldigen für das Scheitern der Verhandlungen sehen Sachs-Pfeiffer und Jahn im Vorstand des Tacheles-Vereins. „Die haben sich nicht an die Absprachen gehalten“, kritisiert die Projektkoordinatorin. „Denen geht es eher um wirtschaftliche Interessen als um die Kultur“, meint der OFD-Sprecher. „Die verwerten ein Objekt, das ihnen nicht gehört, indem sie es weitervermieten.“

In der Tat ist die Vermietung der Räume auch innerhalb des Tacheles ein Streitpunkt. „Es gibt hier Leute, die unheimlich reich sind“, meint ein französischer Maler. Jahrelang flossen über Kulturförderung und ABM-Stellen öffentliche Gelder in das Tacheles. Nun sei das Geld weg und im Haus gebe es den gleichen Vertreibungsdruck wie vom Investor, meint der Maler. Der Vorstand wolle alle Künstler loswerden, die keine Miete für die Ateliers zahlen könnten. Aber Miete für ein besetztes Haus sei doch absurd. „Und die da unten“, der Maler deutet auf das gut besuchte Gartencafé, „verdienen gutes Geld“.

Ludwig Eben, Mitbetreiber des Cafés, hält das für unsachliche Kritik von Laien. Bei dem Streit mit den Atelierbenutzern gehe es gar nicht um die Miete, sondern nur um die Betriebskosten. Die Café- Betreiber hingegen würden monatlich fast 7.000 Mark Pacht an den Verein abführen. Auch das von einer Brauerei akquirierte Geld sei fast vollständig weitergegeben worden. „Wer glaubt, mehr für den Verein herausschlagen zu können, kann den Laden haben“, betont Eben. Aber man müsse bedenken, daß er überdurchschnittliche Löhne zahle und das Café nur im Sommer floriere. „Wir sollen die letzte sozialistische Insel sein“, ärgert sich Eben über den Vorwurf der Gewinnsucht.

Die internen Streitigkeiten könnten bald beendet werden, wenn das Landgericht dem Räumungsbegehren zustimmt. „Dann werden wir irgendwann einen Gerichtsvollzieher beauftragen, der dann irgendwann auch räumen wird“, erklärt OFD-Sprecher John das weitere Vorgehen.

Dabei betonen alle Parteien, daß sie die „Idee Tacheles“ – ein offenes Haus für experimentelle Kunst – erhalten wollen. „Im Geflecht der politischen und kommerziellen Verwertungsinteressen haben es Fundus, die OFD, der Senat und Tacheles e.V. nicht vermocht, eine Lösung für den Erhalt des Tacheles zu finden“, stellte eine Initiative von Kulturprojekten aus Mitte im Mai fest und forderte den Erhalt des Kunsthauses als „unabhängige Institution“. Etwa hundert Einzelpersonen und Initiativen unterzeichneten den Aufruf „Tacheles gehört der Öffentlichkeit“. Erste Gespräche mit Fundus und dem Tacheles wurden bereits geführt.

Doch die Reaktion blieb geteilt. Tacheles- Kommunikator Ilia Castellanos hält den Aufruf einfach für „bescheuert“, weil er auch auf die Ablösung des amtierenden Tacheles-Vorstandes ziele. Café-Betreiber Ludwig Eben findet den Ansatz zwar positiv, er komme aber drei Jahre zu spät. Nur die Fundus- Koordinatorin Sachs-Pfeiffer begrüßt die Initiative, die ihrem ursprünglichen kooperativen Ansatz entspreche: „Die angestrebte Urbanität für das Tacheles-Gelände ist nur zu erreichen, wenn mehr und mehr Leute in das Projekt eingebunden werden.“

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