Alles biologisch abbaubar

■ Bonbonfarbene Eurhythmiegewänder und anrührendes Schnapphasentum: Bei den Wiener Festwochen verweigerte Zadek das kalte Machtspiel von "Richard III."

Froschgrün kleidet ihn der Neid. Klumpfuß und Buckel sind Stigmen seiner bösen Triebe, von Machtgier, Mordlust und amoralischer Intelligenz. Richard III., das prächtigste Monstrum der Theatergeschichte, ist wiedererstanden, und Paulus Manker schlägt vor, daß wir es lieben sollen. Der finstre Herzog von Gloster ist nur ein arm' Kind, das seine unemphatische Mutter weggelegt hat. Er buhlt, bettelt und schmeichelt ums Publikum, um die Gunst der Frauen, zur Verwirrung seiner Feinde, bis deren Hals durchtrennt ist.

Die Morde schaffen der wunden Seele nur kurze Linderung. Ohne Lust, ohne Verweilen humpelt die Mißgeburt voran auf ihrem Rachezug gegen die Natur im Zeichen der Wildsau, Richards Wappentier. Und doch wäre er zu erlösen, so schmachtet Mankers Monster uns zu. Wenn nur einmal die schöne Lady Anne (Deborah Kaufmann) aus freien Stücken an seinen Lippen hinge, Froschkönig Richard würde zerplatzen und wäre so edel, blond und nordisch wie seine Feinde. König wird er, aber er stirbt ungeküßt.

Diesem Mann wird Unrecht getan. Der wahre Richard war eigentlich ganz in Ordnung, Shakespeares Stück ist Propaganda für die Interessen seines Königs. Den letzten Gegner der herrschenden Dynastie entwirft er als synthetischen Bösewicht, als Modell der menschlichen Willensfreiheit ohne Moral. So folgerichtig und brillant, daß nur der Mummenschanz der Geister am Ende den Unhold bremsen kann. In „Richard III.“ hat die Kunst ihre Unschuld verloren, auch darin liegt die jahrhundertealte Faszination des Textes.

Peter Zadek baut seine ganze Inszenierung auf diesen Zwiespalt von Kunst und Propagandatrick. Er verbannt Brokat, Zierat und dramatische Lichtwirkungen aus dem Geschehen. Geschichte ist hier doppelte Fiktion, so gibt es weder etwas zu historisieren noch zu aktualisieren. Zadek will den Text „secco“. Die Bühne: unten Bretter, hinten ein Portal, drei Flügeltüren aus Sperrholz für unspektakuläre Auftritte von Helden und Verschwörern, oben hinter drei Fenstern ein Raum zum Beten und Hinrichten. Die Botschaft: Hier gibt es keine ewigen Wahrheiten, hier ist alles 100 Prozent Natur und biologisch abbaubar.

Es fehlt das halbdunkle Verschwörerlicht. Diffuse Arbeitsbeleuchtung erhellt Zuschauerraum und Bühne. Kein Eintauchen in kathartische Regungen. Dem Publikum ist das Mitlesen erlaubt, Kritiker brauchen ihre Leuchtkugelschreiber nicht. Und überhaupt, alles so schön bunt hier. Im Bestreben, nur Worte, Licht und reinen Geist auf die Bühne zu stellen, hat es die Ausstattungscrew (Bühne: Karl Kneidl, Kostüme: Modesta Maselli) sehr weit getrieben. Bonbonfarbene Eurhythmiegewänder huschen über die Bühne.

Zadek und Manker setzen Klischees gegen das politische Klischee. Richard III. ist kein kühler Agent der Macht mehr, allenfalls noch ein Aufklärer durch Zynismus, Wiener Hanswurst und eine Scheibe Brandauer-Mephisto. Dieser Richard begeht seine Taten nicht, um sie zu tun, sondern um zu zeigen, was man in dieser kopflosen höfischen Gesellschaft tun kann. Seine Erfolge quittiert er mit bitterem Lachen im Beiseitesprechen. Paulus Manker hat diesem Gnom einen Kinderglauben mitgegeben, sentimentale Reste von Moral. So lieb, anrührend und zärtlichkeitsbedürftig war wohl selten ein Richard. Der Schnapphase aus „Alice im Wunderland“, Mankers Rolle in Zadeks Parallelaktion bei den Wiener Festwochen, ist gar nicht so weit weg.

Was sonst? Die Haupt- und Staatsaktionen überläßt Zadek Helden in Strumpfhosen. Das klingt nach Mel Brooks, ist wohl auch so gemeint, gerät aber bei weitem nicht so lustig. Buckingham (Axel Milberg) und Hastings (Horst Kotterba), Richards Mitstreiter, bis sie durch seine Worte den Kopf verlieren, bleiben joviale, tumbe Männerfreunde, Figuren aus dem Offizierskasino. Richards Gegner, die Gewährsleute von Königin Elisabeth (Sybille Canonica) sind effeminierte Hofschranzen, die edlen Seelen, König Eduard IV. (Sylvester Groth) und Richmond (Michael von Au), sollen als plakative Gutmenschen unseren Abscheu erregen.

Was Peter Zadek rechtfertigt, sind einmal mehr die Frauen. Christa Berndl, Doris Schade, Sybille Canonica und Deborah Kaufmann stimmen machtvoll die rituelle Klage der erniedrigten Königinnen an. Ihre Flüche und Prophezeiungen halten und formen die Aufführung. Die Politik der Männer ist Sandkastenspiel. Dennoch nur gepflegte Langeweile. Der große Alte hat dem Novitätenwahn der Festivals diesmal mit koketter Arbeitsverweigerung den Hintern gezeigt. Das könnte sympathisch sein, fände Theater nicht vor Zuschauern statt. Uwe Mattheiß