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Mythenbasteln

■ „Madame Lambert“ – ein Comicszenario des Krimiautors Jerome Charyn für den Schweizer Zeichner Andreas Gefe

Das erste Bild ist undeutlich: Verschwommen zeigt es ein möglicherweise geniales Gemälde des möglicherweise genialen Malers Antoine Duhamel. Der spielt in Jerome Charyns Szenario eine zentrale Rolle: In dürren Worten und in atmosphärisch dichten, zwischen Grau- und Schwarztönen changierenden Bildern erzählt „Madame Lambert“ die merkwürdige Geschichte der amour fou einer reichen Industriellengattin zu Duhamel.

Es könnte aber auch sein, daß es die Geschichte eines raffinierten Mordkomplotts ist, mittels dessen die seltsame Madame Lambert (die in jedem Panel ein bißchen anders aussieht) sich den indolenten Ehemann nebst dem aufsässigen Liebhaber (dem dubiosen Burt Brown) vom Halse schafft. Nach dieser Lesart ist Duhamel das dumme Werkzeug und wird sicherlich auch bald entsorgt von Madames privater Killertruppe (drei Clockwork-Orange-artige Exzirkusartisten in schrägen Designerklamotten und mit unfertigen Gesichtern).

Der aus dem literarischen Noir tausendfach bekannte und immer wieder variierte Mythos von der eiskalten Femme fatale, die die Männer für ihre eigenen düsteren Zwecke zu funktionalisieren weiß, löst sich auf. Der junge Schweizer Zeichner Andreas Gefe unterstreicht das, indem er seine Panels zwischen penibelster Konkretisierung und flächiger Abstraktion, zwischen holzschnittartig kräftigen Linien und weichzeichnerhaft gedämpften Hintergründen schwanken läßt.

Charyns Szenario folgt konsequent seinem Konzept der „white spaces“: Es wird nur soviel gesagt wie nötig, um die Phantasie der Leser in Bewegung zu bringen. „Standardsituationen“ werden nur kurz aufgerufen, aber nicht erklärt, weil sowieso jeder weiß, was sie bedeuten. Wenn Brown dem Maler einen toten Clochard ins Atelier legt, wissen wir, daß dies eine Erpressung ist, und können auf die ausführliche Darstellung, was das für den Fortgang der Handlung bedeutet, verzichten.

Nach diesem Prinzip funktioniert der ganze Comic. Allerdings mit dem raffinierten Dreh, daß die Deutungsmöglichkeiten an den entscheidenden Stellen unklar werden. Das Weltbild des Noir ist hinreichend diffundiert, es gibt viele mögliche Interpretationen. Nichts spricht gegen die Lesart, daß Madame Lambert mit ihrem Antoine glücklich werden will und dafür brachial ein paar Hindernisse aus dem Weg zu räumen bereit ist. Weder Bild noch Text favorisieren eine eindeutige Auflösung dieser düsteren Halluzination über ein bekanntes Thema.

Der Mythomane Jerome Charyn läßt sich immer öfter von verschiedenen Illustratoren seine „white spaces“ füllen. Nach Boucq, de Loustal, Muñoz, Staton oder Frezzato jetzt also Andreas Gefe, dessen Stil ideal zu Charyns bizarrer Methode des Mythenbastelns paßt. Dabei verändern sich die Mythen, ziehen mit der Veränderung der Welt gleich und verschieben die Ränder des Realen. Wie die Bilder Duhamels und die Panels von Gefe, die diese Bilder zeigen. Thomas Wörtche

Andreas Gefe/Jerome Charyn: „Madame Lambert“. Aus dem Amerikanischen von Hans Jürgen Balmes. Edition Moderne, Zürich 1997. 54 Seiten, 28 DM

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