piwik no script img

„Augen zu und durch“ oder: „Nach uns die Sintflut“

■ Italiens Euro-Bastler können keinen einzigen Tag Verzögerung hinnehmen. Zu sehr hat die Regierung in Rom ihre gesamte Politik auf die Einführung abgestimmt

Roberto Della Pace, seines Zeichens Fachmann für Währungsfragen und Berater der italienischen Regierung, reibt sich die Augen. „Wenn wir so einen Schatz hätten, meine Güte, was hätten wir damals alles anstellen können!“ Die Rede ist natürlich von den famosen deutschen Goldreserven und deren Neubewertung. Doch es ist nicht sicher, ob Della Pace mit „alles anstellen“ Sinnvolles meint oder wieder bloß totales Verschleudern. Jedenfalls versteht er überhaupt nicht, warum jemand die kreative Haushaltsführung Theo Waigels gerade bei der Gold-Neubewertung angreifen sollte. „Ich an seiner Stelle hätte das doch ruck, zuck gemacht, und meine lieben Italiener hätten mir die Hand geküßt.“

Vermutlich hat er recht. So ist halt Europa. Was in Deutschland verteufelt wird, käme vielen Italienern gerade gelegen. In keinem anderen Land findet die Währungsunion so viel öffentliche Zustimmung – nach Erhebungen von Eurobarometer fast 70 Prozent. Und in keinem anderen Land werden die deutschen Probleme mit gemischteren Gefühlen beobachtet. Noch vor einem Jahr hätte die Regierung Prodi „wahrscheinlich gejubelt, wenn die termingerechte Einführung des Euro in Frage gestellt worden wäre“, so Della Pace.

Doch nun, das betont der für Wirtschafts-, Währungs- und Haushaltsfragen zuständige Minister Carlo Azeglio Ciampi immer wieder, „sehen wir eigentlich keinerlei Notwendigkeit, die Einführung des Euro um auch nur einen Tag zu verschieben“. Darüber lacht Della Pace nur: „Es geht nicht um notwendig oder nicht. Es geht schlicht darum, daß wir uns keinen einzigen Tag Verschiebung leisten können.“ Das Problem ist nicht die mögliche Verzögerung der von allen italienischen Euro- Fans so lauthals propagierten Segnungen neuer Investitionen aus dem Ausland. Vielmehr hat, so Della Pace, „unsere Regierung faktisch alles nur auf den einen Tag hinprogrammiert, an dem über die erfolgte Einhaltung der Kriterien entschieden wird“.

Schon zwei Tage später, glauben mittlerweile auch zahlreiche angesehene Wirtschaftsinstitute, könne alles platzen. Spätestens wenn Mitte 1998 der Haushalt für 1999 verabschiedet wird, müßte klarwerden, welche uneinlösbaren Hypotheken die Regierung hier aufgenommen hat. Das prägt auch die italienische Einstellung zur übrigen EU-Politik. Im Grunde müßte sich Italien am meisten darüber freuen, daß die neue französische Regierung der Währungsunion eine stärkere EU-Beschäftigungspolitik entgegensetzen will. Schließlich war es ihr Verhandlungsführer im Vorfeld der Maastricht-Beschlüsse, der seinerzeitige Finanzminister und ehemalige Notenbankchef Guido Carli, der vor einer „rein monetären und haushaltsökonomischen Ausrichtung“ der Euro-Politik gewarnt hat. Dringend hatte er die „Einbeziehung sozialer und arbeitsmarktbezogener Daten“ bei der Kandidatenauswahl gefordert: „Ohne das Problem der Arbeitslosigkeit im Griff zu haben, kann eine gemeinsame Währung nur zur gemeinsamen Pleite führen.“ Das wollte damals niemand hören, schon gar nicht Kanzler Kohl, dessen Sprachrohre die italienischen Bedenken als „typisches Gewäsch aus einem eben mutwillig ruinierten Land“ heruntermachten, wie sich ein italienisches Delegationsmitglied in Maastricht erinnert.

Doch die Genugtuung bleibt aus, die italienische Mitte-links- Regierung mag sich heute nur noch schwach an die Worte Carlis erinnern. „Damals hätte es Sinn gehabt, jetzt müssen wir erst mal den Euro haben“, tönt es aus dem Schatzministerium. Denn, so Minister Ciampi, „so wie Kohl seinerzeit die sicherlich für lange Zeit unwiederholbare Gelegenheit zur Wiedervereinigung ergriffen hat, so müssen wir die vielleicht einzige Gelegenheit ergreifen, beim Euro dabeizusein, ohne Wenn und Aber.“ Della Pace trocken: „Ciampis Motto lautet: Augen zu und durch, oder besser: Nach uns die Sintflut.“ Werner Raith, Rom

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen