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„Nicht zu höflich sein“

Der minderbegabte Ex-Tennisprofi Brad Gilbert verrät nun auch auf deutsch, wie selbst Stümper gewinnen können  ■ Von Matti Lieske

Der marokkanische Tennisspieler Hiram Arazi läßt sich vor einem Match dadurch ablenken, daß ihm sein Trainer Gedichte vorliest. Eine Handlungsweise, die Brad Gilbert ausgezeichnet gefallen würde. Selbst pflegte der US- Amerikaner seine Nervosität zu bekämpfen, indem er sich beim Einschlagen Lieder von Tom Petty vorsang oder versuchte, die Aufschrift auf dem ihm entgegenfliegenden Ball zu lesen. Derartige Dinge teilt Gilbert in seinem höchst erfolgreichen Buch „Winning ugly“ mit, das jetzt erstmals in deutscher Übersetzung erschien. Es hält nicht nur für Freizeit-Tennisspieler, sondern auch für versierte Profis Rezepte bereit, wie sie Gegner besiegen können, die eigentlich besser sind. Selbst Michael Chang soll beim Kauf des Werkes in einer Buchhandlung ertappt worden sein.

Gilbert brachte es einst mit beschränkten Mitteln zur Nummer vier der Welt. Seine Hauptthese ist, daß fast alle Amateure, aber auch viele Cracks völlig unvorbereitet auf den Platz gehen. Sie agieren nach dem alten Grundsatz, den besonders deutsche Trainer diverser Sportarten gern im Mund führen: „Spiel dein Spiel und zwinge es dem Gegner auf.“ Völlig verkehrt, ruft Gilbert. Er, der über keinen einzigen besonderen Schlag verfügte, lernte früh, wie wichtig es ist, seinen Kontrahenten lange vor dem Match genau zu studieren und sein Spiel danach auszurichten. Das Ziel müsse sein, mit den eigenen Stärken die Schwächen des anderen auszunutzen.

Ein Vorgehen, daß beispielsweise Boris Becker gegen Andre Agassi meist sträflich vernachlässigt. Der von Gilbert betreute US- Amerikaner hat ein Kapitel zur deutschen Übersetzung von „Winning ugly“ beigesteuert, in dem er dies verwundert konstatiert: „Boris attackiert meine Stärken mit seinen Schwächen. Es kommt mir fast so vor, als ob Becker zu stur ist zu akzeptieren, daß er mich auf diese Art und Weise nicht schlagen kann.“ So etwas wäre Gilbert nie passiert. Der minderbegabte Langweiler schlug alle Größen seines Sports, einschließlich Becker und John McEnroe, welcher die Niederlage zum Anlaß für seinen temporären Rückzug nahm: „Wenn ich schon gegen den verliere, kann ich gleich aufhören.“

Anders als es der etwas reißerische Titel nahelegt, geht es in Gilberts Buch nicht darum, mit schmutzigen Mitteln zum Sieg zu kommen. Zwar ist der Autor dem deutschen Publikum am besten durch seine Rangelei mit David Wheaton beim Millionen-Match im Halbfinale des Grand Slam- Cups 1990 in München in Erinnerung, doch auch in diesem Fall nennt er als Grund für seinen Sieg die Tatsache, daß er im Gegensatz zum reizbaren Wheaton auf derartige Dinge vorbereitet war.

Gilberts Ratschläge sind simpel: Mache einen Plan und halte dich daran! Nimm dem Gegner sein A- Spiel. Verfalle nicht in Euphorie, wenn es gut läuft, nicht in Panik, wenn der Gegner jeden Ball trifft! Bloß nicht hetzen! Konzentriere dich besonders, wenn du gerade ein Break geschafft hast! Versuche nicht das Unmögliche! Hasse deine leichten Fehler! Bei Vorteil, Satzball oder Matchball keine waghalsigen Schläge! Haut dir der Gegner deinen zweiten Aufschlag um die Ohren, versuche nicht auf Teufel komm raus, mit dem ersten zu punkten, sondern spiele ihn möglichst sicher, damit du weniger zweite Aufschläge hast. Vor allem aber: Denke. Ständig.

„Brad konnte es nicht fassen, als ich ihm erzählte, daß ich mich meist erst mit dem Ballwurf für die Seite entschied, auf die ich servieren wollte“, erinnert sich Agassi, „er war einer jener Spieler, die sich schon zwei Wochen vor dem Ballwurf für eine Ecke entschieden hatten.“ Zu diesem Zweck führte er ein kleines Buch mit sich, in das er alles eintrug, was ihm an potentiellen Gegnern auffiel. Wohin sie unter Druck am liebsten aufschlagen. Welcher Schlag am ehesten versagt. Ob sie dazu neigen, die Rückhand zu umlaufen. Ob sie anfällig gegen Kälte oder Hitze sind. Logische Strategie im letzteren Fall: Für ein möglichst langes Match sorgen.

Illustriert werden Gilberts Thesen durch Analysen der Stärken und Schwächen großer Spieler, durch etliche Anekdoten aus dem Tennisgeschäft und die Darstellung seiner herausragendsten Matches – der gewonnenen und der verlorenen. Gegen John McEnroe beispielsweise, bei dem der am Rande der Niederlage befindliche New Yorker bei bitterer Kälte zehn Minuten lang wegen eines angeblich im Aus gelandeten Balls tobte, bis Gilbert halberfroren war und kaum noch einen Punkt machte. Oder gegen Jimmy Connors, dem es sogar gelang, dem Schiedsrichter einen verwandelten Matchball Gilberts auszureden.

Oder gegen Ivan Lendl, wo dann doch Brad Gilberts Ader für unfeine Methoden durchschlägt. „Seien Sie nicht zu höflich“, empfiehlt er, und berichtet, wie er von Lendl einmal so hart getroffen wurde, „daß eine Woche lang ,Wilson‘ auf meiner Brust stand“. Sowas gefällt dem US-Amerikaner. „Wenn Ihr Gegner stark am Netz ist“, schreibt Gilbert, „und Sie immer wieder in die Enge treibt, ist er ein legitimes Ziel.“

Brad Gilbert/Steve Jamison: „Winning Ugly“. Dietrich zu Klampen Verlag, Lüneburg 1997, 264 S., 36 DM

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