: Umweltschäden meßbar machen
Mit einem ausgeklügelten System von Meßgrößen wollen Umweltverbände von nun an die Zukunftsfähigkeit Deutschlands überprüfen ■ Aus Bonn Uwe Kerkow
Wenn wir wissen wollen, wie es unserer Wirtschaft geht, schauen wir auf Wirtschaftswachstum und Handelsbilanz. Wenn wir uns fragen, ob soziale Gerechtigkeit herrscht, blicken wir auf die Arbeitslosenquote. Mit welchen Indikatoren aber messen wir die Güte unserer Umwelt?
Auf der UN-Generalversammlung „Fünf Jahre nach dem Rio- Gipfel“ kommende Woche werden die Nationen darstellen, was sie seit 1992 erreicht haben. Doch wie aussagekräftig sind die Berichte? Um die Angaben sinnvoll und vergleichbar zu machen, hat die UN-Kommission für nachhaltige Entwicklung (CSD) einen Katalog von über 130 Indikatoren entwickelt, über die künftig berichtet werden soll. Zu den klassischen ökonomischen Größen kommen ökologische und soziale Indikatoren hinzu wie Gesundheitsversorgung, Flächenverbrauch und Schadstoffausstoß. Die Fülle der verschiedenen Meßdaten soll dem hohen Anspruch des Rio-Gipfels gerecht werden, Schritte zu einer nachhaltigen Wirtschaft zu gehen. Nachhaltig, daß bedeutet umweltfreundlich und zukunftsfähig: Die Erde darf nicht stärker verschmutzt werden, als sie sich regenerieren kann und Ressourcen dürfen nicht auf Kosten folgender Generationen geplündert werden.
Der CSD-Katalog wird zur Zeit von fünfzehn Staaten freiwillig getestet – auch die Bundesrepublik macht mit. Doch das deutsche Forum Umwelt und Entwicklung kritisiert die Indikatoren als zuwenig transparent. Die Zahl der Meßgrößen will das Forum der Umwelt- und Dritte-Welt-Gruppen überschaubarer machen, die Indikatoren verständlicher, damit die Ergebnisse nicht nur einem Fachpublikum zugänglich sind.
„Niemand soll sich mehr hinter dem Begriff der Zukunftsfähigkeit verstecken können“, sagt Kerstin Deller vom Wuppertaler Institut für Klima und Energie, die das Indikatorensystem für das Forum Umwelt und Entwicklung entwickelt hat. Für sie ist eine Gesellschaft nur zukunftsfähig, wenn sie Wohlstand gerecht verteilt – auch für künftige Generationen muß genug vom Kuchen übrig bleiben. „Ein Indikator, der diesen Namen verdient“, resümiert Deller, „muß vor allem die Zusammenhänge zwischen der ökologischen, der wirtschaftlichen und der sozialen Sphäre beschreiben“. Das fehle dem CSD-Meßsystem. Denn es betrachte die Daten nur einzeln, ohne sie in Bezug zu setzen.
Zur Beschreibung des sozialen Zustands wählte das Forum Umwelt und Entwicklung die „erweiterte Arbeitslosenquote“ als Schlüsselindikator. Um die Verteilungsgerechtigkeit zu beschreiben, wurde die relative Armut und die Zahl der Millionäre ausgesucht. Das Ergebnis: Nicht nur die Arbeitslosen sind mehr geworden, sondern auch die Menschen, die weniger als die Hälfte des Durchschnitteinkommens erhalten. Sozial gesehen ist Deutschland heute weiter von der Nachhaltigkeit entfernt als vor Rio.
Um das Verhältnis zwischen Ökonomie und Ökologie zu ermitteln, dient der Indikator „Totaler Materialinput der deutschen Wirtschaft“. Dazu werden sämtliche Stoffströme eines Jahres aufaddiert – vom Braunkohlebergbau über die Baumwollimporte bis zum Zahngold. Demnach wurden 1991 in Deutschland 6,36 Billionen Tonnen bewegt, um das Bruttoinlandsprodukt zu erwirtschaften. 1994 waren es „nur“ noch 5,75 Billionen Tonnen. Hält dieser Trend an, wäre das ein Schritt Richtung Nachhaltigkeit. Zuletzt stagnierte allerdings der Materialfluß nur noch. Dagegen werden immer mehr Güter immer weiter in Deutschland hin und her bewegt. Privatleute fahren immer mehr Auto. Fazit: nicht zukunftsfähig.
Um das politische System in die Nachhaltigkeitsdebatte einzubeziehen, wählte man die Zuordnung der Steuern und Abgaben nach ihrer Herkunft. Das Ergebnis ist nicht gerade schmeichelhaft für die PolitikerInnen: 1990 resultierten neun Prozent aller Staatseinnahmen aus Steuern und Abgaben auf den Naturverbrauch; voriges Jahr waren es nur noch acht Prozent. Das Steueraufkommen aus Kapital und Kapitaleinkünften, wie Zins- und Spekulationssteuer, hat sich in dieser Zeit sogar halbiert. Dafür stieg der Anteil des Staatshaushaltes, der aus Arbeitseinkommen finanziert wird, von 51 auf 67 Prozent.
Wer natürliche Ressourcen verbraucht und seine Einkünfte aus Kapitalerträgen bezieht, braucht den Fiskus nicht zu fürchten. Wer Arbeit schafft oder abhängig beschäftigt ist, wird dagegen geschröpft. Das verhindert eine umweltschonende Produktionsweise und vernichtet Arbeitsaplätze. Auch hier: Keine Zukunftsfähigkeit.
Das Forum Umwelt und Entwicklung plant einmal jährlich einen „alternativen Wirtschaftsbericht“ in Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften, den Kirchen sowie Umwelt- und Entwicklungsorganisationen vorzustellen. Die Bundesumweltministerin Angela Merkel wird zum Jahresende einen Vorbericht über erste Meßerfahrungen veröffentlichen – noch mit den Indikatoren der CSD.
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