: Bonner Koalition nach Amsterdam im Höhenflug
■ CDU-Generalsekretär Peter Hintze lobt Vertrag und Helmut Kohl. SPD hebt Beschäftigungskapitel hervor. Bündnisgrüne sprechen von einem „Nullvertrag“
Bonn (taz) – Es muß wohl der Blick in den Wolkenhimmel über Bonn gewesen sein, der CDU-Generalsekretär Peter Hintze gestern in die Rolle eines Meteorologen schlüpfen ließ. Der Vertrag von Amsterdam habe die Europäische Union „wetterfester“ gemacht, frohlockte Hintze. Nach der Dauerkoalitionkrise der letzten Wochen waren die Christdemokraten in Bonn erstmals wieder oben auf. Voll des Lobes war Hintze denn auch für Helmut Kohl. Der EU- Gipfel sei der „persönliche Erfolg“ des Bundeskanzlers. Auch Finanzminister Theo Waigel von der Schwesterpartei CSU wurde von Hintze nicht vergessen. Der Stabilitätspakt sei so verabschiedet worden, wie von Waigel gewünscht. Die strikte Einhaltung der Verschuldungsgrenze von 3,0 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Einführung des Euro bleibt also erhalten. Für den Koalitionspartner FDP blieb es gestern ihrem Elder statesman Hans-Dietrich Genscher vorbehalten, das Vertragswerk zu loben. Dies sei ein „guter Schritt“, so der frühere Außenminister.
Verhalten optimistisch klangen die Stellungnahmen der SPD. Parteichef Oskar Lafontaine würdigte gestern vor allem die französische Regierung, die gegen den Widerstand Kohls ein Beschäftigungskapitel durchgesetzt hatte. Dem „Anfangserfolg“ müßten nun aber konkrete beschäftigungs- und wirtschaftspolitische Maßnahmen folgen. Daß hierfür allerdings auf Druck Kohls keine neuen Mittel eingestellt werden, ist aus Sicht der SPD kein Fehler. Heidemarie Wieczorek-Zeul, europapolitische Sprecherin, betonte, jetzt müßten eben die vorhandenen EU-Mittel auf beschäftigungspolitische Maßnahmen konzentriert werden. „Völlig unzureichend“ bewertete die SPD-Politikerin die Rechte des Europäischen Parlaments in der Innen-, Justiz-, Außen – und Sicherheitspolitik. Insbesondere bei der Asyl- und Innenpolitik müßten die Möglichkeiten ausgeweitet werden. Die SPD will darauf drängen, daß die Bundesregierung in diesen Bereichen keine Entscheidungen im EU-Ministerrat trifft, ohne daß diese zuvor vom Bundestag gebilligt worden sind. In Amsterdam hatten Kohl und Außenminister Klaus Kinkel (FDP) die Einstimmigkeit aller 15 EU-Mitgliedstaaten in der Asylpolitik durchgesetzt – faktisch läuft dies auf ein Vetorecht Bonns hinaus.
Hart fiel das Urteil der Bündnisgrünen aus. Claudia Roth, Fraktionsvorsitzende im Straßburger EU-Parlament, sprach von einem „Null-Vertrag“. Die Bestimmungen zur Innen- und Justizpolitik gefährdeten die Grund- und Bürgerrechte. Nur über den Forschungsbereich werde im Ministerrat mit qualifizierter Mehrheit entschieden, in allen anderen herrsche das Prinzip der Einstimmigkeit. Unmut löste bei Roth der Umstand aus, daß die Mitgliedsstaaten in den Bereichen Justiz und Inneres Gesetzesinitiativen starten können und damit die Rechte der Kommission beschnitten würden. Dies, so Roths Befürchtung, öffne der „Renationalisierung Tür und Tor“. Unschlüssig ist sich die Bonner Grünen-Fraktion, ob sie dem Vertragswerk im Bundestag zustimmen wird. Der europapolitische Sprecher der Fraktion, Christian Sterzinger, meinte, dies sei „nicht vorschnell“ zu beurteilen, zumal der endgültige Text noch nicht vorliege. Die bisher bekanntgewordenen Ergebnisse seien aber „enttäuschend“. Statt einer Beschäftigungs- und Umweltunion flankierten nun Polizei und Militär den Weg zur EU-Integration.
Die innenpolitische Sprecherin der PDS-Bundestagsgruppe, Ulla Jelpke, beurteilte das Amsterdamer Treffen als demokratischen Rückschritt. Insbesondere hob Jelpke auf die noch zu schaffende Europol-Behörde ab. Deren Polizeibeamte sollen vor strafrechtlicher Verfolgung geschützt und nur durch den Europol-Präsidenten kontrolliert werden. Im Gegensatz zu Hintze gab sich Jelpke gestern pessimistisch: Amsterdam werde „Europamüdigkeit und Politikverdrossenheit“ fördern. Severin Weiland
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