: Seit acht Jahren lebt der Schriftsteller Salman Rushdie, der heute 50 Jahre alt wird, in einem Versteck. Sein Ruhm schlägt sich zwar weltweit in hohen Verkaufszahlen nieder. Letztlich aber scheint an Rushdie nur interessant zu sein, wie er
Seit acht Jahren lebt der Schriftsteller Salman Rushdie, der heute 50 Jahre alt wird, in einem Versteck. Sein Ruhm schlägt sich zwar weltweit in hohen Verkaufszahlen nieder. Letztlich aber scheint an Rushdie nur interessant zu sein, wie er überlebt. Mit dem Verschwinden seines literarischen Werkes hinter der Person hat sich ein nicht unwesentlicher Teil der Absichten der Todesfatwa Ajatollah Chomeinis erfüllt.
Festgelegt auf die Rolle des Märtyrers
„Ja, sie werden mich unter ihren Füßen zertrampeln, die Zahlen marschieren eins, zwei, drei, vierhundert Millionen, fünfhundertundsechs zermahlen mich zu stimmlosen Staubkörnern [...], denn es ist das Vorrecht und der Fluch von Mitternachtskindern, sowohl Herr als auch Opfer ihrer Zeit zu sein, dem Eigenleben zu entsagen und in den zerstörerischen Strudel der Massen gesogen zu werden und nicht in Frieden leben und sterben zu können.“
Mit diesen Sätzen schließt die Erzählung jenes Unglücklichen in „Mitternachtskinder“, der genau um Mitternacht zwischen dem letzten Tag der britischen Kolonialherrschaft und der Unabhängigkeit Indiens geboren ist, der nicht anders kann, als beide Zeiten und beide Kulturen lebenslang mit sich herumzuschleppen. Statt in eine lichte Zukunft des Universalismus zu gelangen, steht er in Gefahr, zwischen den Ghettos feindlicher Identitäten zerrieben zu werden.
Den Weltruhm, den die „Mitternachtskinder“ Salman Rushdie 1981 eingebracht hatten, konnte er nur wenige Jahre genießen. Denn ihre Schlußsätze entpuppten sich als Prophezeiung hinsichtlich seines eigenen Schicksals. Die Verknüpfung orientalischer Fabulierkunst mit westlicher Respektlosigkeit vor heiligen Werten in den 1989 erscheinenden „Satanischen Versen“ brachte ihm die Todesfatwa des iranischen Ajatollah Chomeini ein.
Aber das Bild eines nur den islamischen Extremismus angreifenden Rushdie ist einseitig. In England ist er seit dem Falkland-Krieg zum Beispiel auch mit scharfen Angriffen auf die im Westen fabrizierten Filme kolonialer Nostalgie aufgetreten.
Da die Häscher seiner bislang nicht habhaft werden konnten, wurden mehrere seiner Übersetzer und Verleger Opfer von Attentaten. Offensichtlich inspiriert durch die Todesfatwa gegen ihn, setzte in verschiedenen Teilen der islamischen Welt eine Hatz gegen unzählige universalistisch argumentierende Intellektuelle ein.
Um sein eigenes Schicksal vielleicht doch noch zu wenden, versuchte Rushdie zunächst Abbitte zu leisten. Obwohl es in der islamischen Welt Intellektuelle kaum wagen können, die umstrittene Prophetenepisode in den „Satanischen Versen“ zu verteidigen, erhielt er doch auch aus seinem eigenen Kulturkreis Unterstützung. Sogar ägyptische Imame von der Azhar-Universität wollten prüfen, ob er durch eine Entschuldigung wieder in den Schoß des Islam aufgenommen werden könnte.
Daß Rushdie sich zunächst nicht hauptsächlich mit dem Verweis auf Menschenrechte und Meinungsfreiheit verteidigen wollte, wirkte auf Gleichgesinnte im islamischen Raum wie ein „Verrat“. Die Autorin Taslima Nasrin etwa besteht konsequent auf ihrem „Menschenrecht“, Atheistin zu sein und als solche Religions- und Meinungsfreiheit in Anspruch zu nehmen. Erst als seine Rekonvertierung scheiterte und die Intellektuellenhatz in einigen islamischen Ländern wie Algerien inquisitionsartige Züge angenommen hatte, nützte Rushdie seine öffentlichen Auftritte wieder, um für Universalismus und die Freiheit des Wortes einzutreten. Daß er nicht versucht hat, den Helden zu spielen, sondern mancherlei Irritation und den für Demokraten typischen Hang zum friedlichen Kompromiß verrät, macht ihn nahbar und sympathisch.
Seit acht Jahren lebt er weitgehend von der Gesellschaft abgeschnitten. Trotzdem schreibt er. Sein Fabuliertalent ist ungebrochen. Aber es verwundert nicht, daß seine Melodie öfters eigenartig unkonzentriert und manchmal sogar ängstlich klingt. Im weltweiten Streit zwischen der oft in der Defensive stehenden Kultur des Universalismus und der offensiven Politik identitärer Zuweisungen hätte Rushdie eine Menge zu sagen, gerade auch, weil er es auf sinnliche und nicht immer rational nachvollziehbare Weise tut. Aber die Medien haben ihn auf die Rolle des Märtyrers festgelegt, an dem allein interessant zu sein scheint, wie er überlebt. Dieser negative Ruhm schlägt sich zwar weltweit in hohen Verkaufszahlen nieder. Aber man darf zweifeln, ob die Bücher wirklich gelesen, geschweige denn verstanden werden. Für die Literaturkritik steht er über Lob und Tadel. Die Medien geben sich nur selten Mühe, Rushdies Botschaft zu entschlüsseln: den Spaß nämlich, den das mittlerweile fast weltweit anzutreffende kulturelle Miteinander allen bereiten könnte. Mit diesem Verschwinden eines utopiefreudigen Werks hinter dem Autor hat sich ein nicht unwesentlicher Teil der Absichten der Fatwa erfüllt. Sabine Kebir
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