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Licht und Sonne für die Loser?

„Cool Shit“: Eine siebte Klasse der Hauptschule Slomanstieg auf der Veddel probt ein Musical – mehr oder auch minder freiwillig für mehr Gemeinschaft und gegen Markenzwang  ■ Von Judith Weber

Am anstrengendsten ist es in der Aula am Nachmittag – wenn der Bühnenvorhang aufgeht, die Strahler leuchten und die Lautsprecher zeigen, was sie können. Dann betritt der 13jährige Marcel die Bühne. Das ferkelrosa Rüschenhemd hat er in die Jeans gestopft, Daumen- und Zeigefingerspitze halten ein oranges Mikrofon. Marcel schnulzt los. „Rot ist das Meer, gelb ist der Sand. Blau ist die Liebe“und so weiter, auf daß grün die Gesichter seiner KlassenkameradInnen werden, die sich den Gesang vom Zuschauerraum aus antun. Antun müssen, würden einige von ihnen wohl sagen. Schließlich ist die Musical-Probe Teil des Unterrichts. Pflicht eben.

Aber eine, die Spaß machen soll, meint Leiterin Jini Holländer. Zum zweiten Mal probt die Pädagogin in diesem Jahr mit SchülerInnen der Hauptschule Slomanstieg ein Musical. Vor zwei Jahren trat sie mit einer vierten Klasse auf, diesmal ist es eine siebte. Die Proben und die Aufführung, vom Jugendamt als Suchtprävention gefördert, sollen „ein bißchen Licht und Sonne“in das Leben der Jugendlichen auf der Veddel bringen. Denn „wer hier lebt, fühlt sich sowieso schon als Loser“, meint Holländer. Mehr als ein Hauptschulabschluß ist auf der Elbinsel nicht möglich. 85 Prozent der SchülerInnen am Slomanstieg sind AusländerInnen.

„Nahe an ihrem Alltag“wollte Holländer ihr Musical schreiben: Cool Shit, eine Parodie auf die Konsumgesellschaft. Gelangweilte Tänzerinnen tummeln sich neben markengeilen Rappern. Sie alle fordern „mehr Taschengeld, weil man mich sonst für –ne Flasche hält“. „In sein“wollen sie, „hip sein“in einem Stadtteil, auf den AutofahrerInnen nur aufmerksam werden, wenn es gilt, ihn aus Staugründen weiträumig zu umfahren.

Daß einige SiebtkläßlerInnen nicht freiwillig dabei sind, ist offensichtlich. Drei Jungen hocken auf ihren Stühlen, die Rucksäcke schulschlußfertig auf dem Schoß. Soll Marcel doch seine Schnulzen singen, oben auf der Bühne. Genervte Blicke über die Schulter, auf die fünf Mädchen, die nicht nur gerne, sondern begeistert mitmachen. Ihre Füße wippen im Schlagertakt, Hände klappen, Stimmen jubeln. Marcel kann ja nichts dafür, finden sie, daß er „den Schlagerfuzzi“spielt. Ohne den Schnulzenmann geht es eben nicht, wenn Cool Shit im Herbst aufführungsreif sein soll.

Noch drei Monate bis dahin, für Jini Holländer neunzig Tage Motivationsarbeit. „Man kann nicht fest mit den Jugendlichen rechnen“, klagt die Pädagogin. Nach einem Vierteljahr Proben können noch nicht alle ihren Text. Kostüme fehlen, Schuhe liegen vergessen zu Hause. „Da weiß ich auch nicht, welchen Knopf ich noch drücken soll, um sie zu motivieren.“

Marcel kommt ohne diesen Ansporn aus. Sein Rüschenhemd hat er immer dabei. „Ich übe immer am Nachmittag Singen“, erzählt er. Die Texte zu lernen, fällt ihm als einem der beiden Deutschen der Klasse leichter als vielen MitschülerInnen. Für den Griechen Nico, der den Show-Moderator spielt, ist Deutsch ebenso Zweitsprache wie für seine KlassenkameradInnen aus der Türkei, Ex-Jugoslawien oder Rußland. „Anfangs verstehen die sich oft untereinander nicht“, sagt der Musiker Axel Pätz. Er hat die meisten Lieder geschrieben und teilt sich mit Jini Holländer die Regie-Arbeit. 2400 Mark bekommt er für das halbe Jahr Proben. Dazu kommt Geld für Requisiten, Scheinwerfer und Kostüme.

Vor allem an letzteren entzünden sich Streits. Am Rand der Bühne werden Beine verglichen. Soll die Tanzgruppe schwarze Nylonstrümpfe unter den Radlerhosen tragen, helle oder lieber keine? Jini Holländer plädiert für schwarze. Drei Siebtkläßlerinnen nicken, eine rümpft die Nase. Letztlich entscheidet die Mehrheit. „Durch das Musical“, hofft Holländer, „merken sie, daß man Konflikte nicht nur mit Gewalt lösen kann.“

Wichtigstes Ziel bleibt jedoch die Anerkennung und das Gefühl, etwas geschaffen zu haben. Als Marcel seine Schnulze zu Ende gesungen hat, klatscht Jini Holländer am lautesten. Sie weiß: „Wenn wir das Musical packen, erzählen die noch ihren Kindern davon.“

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