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Werbung in der Wertemangel

Kann eine Waschmaschine pazifistisch sein? Auf einem Werbekongreß fragen 350 Kommunikationsstudenten danach, wie sozial Reklame sein kann  ■ Von Lutz Meier

Immer, wenn sich der Wiener Werbeexperte Wolfgang Pauser seiner Waschmaschine nähert, kriegt er ein schlechtes Gewissen. Das Gerät heißt nämlich „Öko-Lavamat“, und damit, so Pauser am Donnerstag zum Auftakt des Werbekongresses, trage jeder Waschgang schon den „Teufelskreis des Moralismus“ in sich. Und Moral gehöre nicht in die Konsumwelt, dafür gebe es andere Institutionen. „Aufgabe der Werbung“, so der Journalist bündig, „ist es, Anwalt der menschlichen Wünsche zu sein und nicht der Verbote“. Also Schluß mit dem „Kult der Selbstkasteiung“ in der Werbung.

Damit hätte das „Berliner Kommunikationsforum“, eine Initiative von HdK-Studenten, seine dreitägige Tagung schon wieder beenden können. Denn auf der Veranstaltung wollten sich die Studenten der Fächer Wirtschaftskommunikation, Grafik-Design und andere angehende Werber mit der „sozialen Qualität in der Werbung“ befassen. Motto: „Kann eine Waschmaschine pazifistisch sein?“ Dabei gehe es laut Mitorganisator Carsten Behrendt nicht darum, ob Reklame überhaupt moralisch sei. Kommilitone Tobias Bauckhage ergänzt: „Werbung ist weithin in die Rolle geraten, die früher Politik oder die Kirche hatten – zu sagen, was gesellschaftlich wichtig ist und was angesagt ist.“ So gehe es den Studenten, sagt Behrendt, um die „Medienfunktion der Werbung“: „Gibt es eine Möglichkeit, dem Konsumenten neben dem Produkt noch etwas anderes zu sagen“ – das, was man für gesellschaftlich wichtig hält, über Umweltschutz, Toleranz oder Zivilcourage.

Ob das geht, wollen die 350 Studenten nun ausprobieren. Am Donnerstag hörten sie sich noch die Thesen zum Thema an, gestern ging es dann an die praktische Umsetzung: Zusammen mit 21 renommierten Agenturen (etwa Jung von Matt, Spring & Jacobi, Scholz & Friends) wurden Kampagnen entworfen, die die hehren Ansprüche in Reklame gießen. „Die Studenten wollen auch den Agenturen Impulse geben“, sagt Tobias.

Aber natürlich geht es auch um Kontaktaufnahme für Praktikum und Karriere. Diesem Ziel dient die heute stattfindende Messe. Im Kongreßsaal war es wie in der Vorlesung – nur mit besserer Stimmung: Statt Diskussionen brandete da Beifall auf, vor allem für die gezeigten Werbefilme. In denen ging es weniger um den „sozialen Mehrwert“, von dem die Organisatoren sprachen, sondern um Marktpositionierung. „Wir nutzen menschliche Bedürfnisse“, so Ulrich Meindl von der Hamburger Dependance der Agentur JWT. Von der moralischen Waschmaschine führt der somit geradewegs in die Wertemangel.

Woher überhaupt das Bedürfnis nach dem sozialen Mehrwert in der Werbung komme, versuchte der Politologe Wolfgang Nowak zu klären: Die Politik, so Nowak, habe aus Kommunikationsunfähigkeit die Meinungsführerschaft längst an die Industrie abgegeben – eine „bedrohliche Entwicklung“. Das gebe der Wirtschaft eine zentrale Rolle in der sozialen Selbstverständigung, bis hin zu dem dominierenden Eindruck in der Öffentlichkeit: „Gute Politik ist nur, was für die Wirtschaft gut ist.“ Nowak mit Blick auf die Werbestudenten: „Diese Leute werden die Wahlkämpfe führen.“

Wenn aber alles, auch die Diskurse, im Monopolisierungssog der Wirtschaft landet, dann dürfen dabei Moral und Gewissen nicht fehlen. Das wäre das Ende der Arbeitsteilung: Konsum und Werbung sind für die Wünsche zuständig, für die Moral aber das Gewissen. Aber wenn schon die Waschmaschine moralisch ist, braucht es der Mensch nicht mehr zu sein. Dabei funktioniert die medialisierte Moral genauso wie die Markenstrategie der Werber: „Sie reduziert Komplexität und lädt den Rest dann mit sehr viel Emotionalität auf.“ Moral und Werbung eine Mesalliance? Die Berliner Politologin und Ex-SPD-Senatorin Barbara Riedmüller wollte die Diskussion niedriger hängen: „Auf seiten der Wirtschaft ist soziale Verantwortung tatsächlich zurückgegangen“, auch wenn sie in den Kommunikationsstrategien zunehme.

Doch da mochten die künftigen Werber lieber den Einsichten des Werbefunktionärs Wolfgang Nickel applaudieren, der das Problem von Moral und Werbung mit einer kleinen Broschüre aus der Welt geschrieben hatte: Für ihn ist das Gerede von der Allmacht der Wirtschaft eine „Gespenstergeschichte aus den 68er Jahren. Der Aufstieg der Massenkultur ist ein Aufstieg zur Freiheit des einzelnen. Werbung hat daran einen besonderen Anteil.“ Applaus.

Ach ja: Zum Abschluß des Kongresses wird heute abend an die Teilnehmer mit der besten Kampagne der „Junior“ verliehen: Eine Statuette von aufsteigenden Gedankenblasen aus Glas. Die Gedankenblasen sind leer.

Werbekongreß Kontaktmesse, heute von 10–17 Uhr, HdK (Hardenbergstraße), Eintritt 15/10 Mark.

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