: Zurück zum "Rama dama"
■ taz-Serie: Stadtführungen (Teil 3). Eine Zeitreise ins Nachkriegsmünchen
Auf drei Säulen ruht das Pflichtprogramm des typischen München-Besuchers: Glockenspiel am Rathaus, Hofbräuhaus und Weißwurstessen, jahreszeitlich ergänzt durch die vierte Säule, das obligatorische Oktoberfestbesäufnis.
Bekannt gute Weißwurstadresse ist der Franziskaner. Wer aber ahnt, wenn er im Poststüberl desselben an seinen Würsten zutzelt, daß er in einem der letzten Behelfsbauten sitzt, die aus den Trümmerjahren der Nachkriegszeit stehengeblieben sind?
Wer an der Führung „Rama dama“ teilgenommen hat, weiß es. Die Situation Münchens nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Erinnerung zu rufen und die (wenigen) Reste dieser Chaostage aufzuspüren, dies hat sich Stattreisen München mit einem thematischen Rundgang zum Ziel gesetzt. Das Programm versucht „eine Zeitreise auf den Spuren von Hershey- Schokolade, Zichorienkaffee, Schaubude, RowohltsRotationsRomanen und Jam Sessions“. Hinter der polierten Luxusfassade des modernen München werden Hunger und Wohnungsnot, aber auch das Solidaritätsgefühl und die Lebensfreude der Nachkriegsjahre lebendig.
„Rama dama“ – dieser von Bürgermeister Thomas Wimmer geprägte Begriff steht für die „Schutträumaktion München“, für Trümmerfrauen und zum Steineschleppen verdonnerte Parteigenossen, für die gigantische Aufgabe, die zu 90 Prozent zerstörte historische Altstadt (und die etwa zur Hälfte zerbombte Stadt insgesamt) von unvorstellbaren Mengen Schutt zu befreien und Straßen und Plätze wieder passierbar zu machen. Kein Wunder, daß dies die hohe Zeit der Stadtplaner war. Im Laufe der Führung wird an exemplarischen Bauten gezeigt, welche verschiedenen Konzeptionen des Wiederaufbaus damals diskutiert und umgesetzt wurden: vom komplett neu aufgebauten Nationaltheater bis zur „Narbenarchitektur“ der Alten Pinakothek, an der die Kriegsschäden nur repariert wurden und damit sichtbar geblieben sind. Der radikalste Vorschlag wurde nicht verwirklicht: den ganzen Trümmerhaufen der „Hauptstadt der Bewegung“ als Mahnmal stehenzulassen und München am Starnberger See neu aufzubauen! Dem von der amerikanischen Besatzungsmacht letztlich favorisierten Restaurierungskonzept verdankt München heute seine im Vergleich zu anderen deutschen Großstädten große Anzahl „historischer“ Gebäude, seine von Touristen aus aller Welt bestaunte Altstadt.
Die Problematik, durch ein Nachkriegsmünchen zu führen, von dessen Kriegsschäden heute praktisch nichts mehr zu sehen ist, wird mit Hilfe historischer Fotos gelöst. Sie regen zur Zeitreise an: die zwei Jeeps der Rainbow Division auf dem schuttübersäten Marienplatz, die Panzer in der Rosenheimer Straße, die deutschen „Fräuleins“ in den US-Jazzclubs, die jedes Fraternisierungsverbot vergessen ließen, und die ausgemergelten Gestalten, die mit ihren kärglichen Lebensmittelrationen über den Jahrhundertwinter 1946/47 zu kommen versuchten. Nach all den Bildern und Assoziationen, die diese Führung wachruft, wird man beim nächsten Weißwurstessen bestimmt daran denken, daß man soeben die Fleisch- und Fettration von mindestens zwei Nachkriegswochen verdrückt hat...
Stattreisen München bietet neben dieser Führung eine Vielzahl von Stadtteilführungen und thematischen Rundgängen an, unter anderem München als „Hauptstadt der Bewegung“, Hexenverfolgung in München, Novemberrevolution und Räterepublik. Rüdiger Kind
Informationen bei: Stattreisen München e.V., Postfach 401832, 80718 München, Tel. (089) 2718940; Fax (089) 2713712
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