Die Patenschaft des Ostrock

Amiga ist stolze 50. Das älteste deutsche Schallplattenlabel, das nach der Wende von einem Autohändler übernommen wurde, macht's noch einmal. Der Ostalgiebedarf ist gedeckt. Jetzt will man rüber. Krug und Brauer sollen swingen  ■ Von Gunnar Leue

Zu großem Ansehen hat es Amiga in DDR-Zeiten nicht gerade gebracht, weshalb man sich heute um so stolzer als das älteste noch existierende deutsche Schallplattenlabel präsentiert. Vor 50 Jahren erhielt der Sänger Ernst Busch von der russischen Militärregierung die Erlaubnis zur Gründung eines Schallplattenverlags. Der wurde am 3. Februar 1947 als „Lied der Zeit“-GmbH im Berliner Handelsregister angemeldet und führte neben einem weiteren Label für Arbeiterlieder eins für Klassik und eins für Tanzmusik: Amiga. 1955 wurde das vom Staat aufgekaufte Unternehmen in den VEB Deutsche Schallplatte umbenannt.

Freilich war das kein Startsignal für einen künstlerischen Höhenflug der Amiga, denn in der DDR war der Monopolanbieter von Pop-Platten (bis hin zu Jazz, Volksmusik, Kinder- und Politliedern) nicht etwa dazu da, jungen aufstrebenden Musikern den Einstieg ins Geschäft zu ermöglichen. Amiga zeichnete statt dessen mehr oder weniger bekannte Künstler mit einer Plattenproduktion aus. Unkonventionelles wie der antilyrische Rock der „anderen Bands“ in den achtziger Jahren hatte fast immer Einlaßverbot. Nicht zuletzt wegen der bekannt-berüchtigten Mäkelei an den Texten verspürten jene Independentgruppen genausowenig Lust auf den Staatsbetrieb – sie werkelten an eigenen Kassettenmitschnitten und vertrieben sie in der Szene. Für die kommerziellen Amiga-Highlights sorgten letztlich immer die gleichen – insbesondere die Puhdys (insgesamt 15 Millionen verkaufte Tonträger), Karat, City und Schlagerstar Frank Schöbel. Trotzdem galt Amiga bei den Kunden vor allem als Beispiel dafür, daß auch im realsozialistischen Pop-Platten-Schaffen kontinuierlich am Bevölkerungsbedarf vorbei produziert wurde.

Der Berliner SED-Fürst meckerte denn auch regelmäßig über die „Menschenaufläufe“, die sich regelmäßig vor den Tonwarenläden bildeten, wenn neue Produkte von bekannten Westinterpreten eingetroffen waren. Von diesen Lizenzplatten gab es trotz Überschreitung der genehmigten Preßauflagen nie genug. Unbeeindruckt erfand Amiga 1988 einen eigenen Plattenpreis: die „Goldene Amiga“ – für die außer den Verkaufszahlen auch die künstlerische Qualität von den Gutachtern bewertet wurde.

Für den Preis kam mit der Wende das Aus, Amiga konnte die Übernahme durch einen Kieler Autohändler gerade so überleben. 1994 schlupfte man unters Dach der BMG-Ariola. In München ist man mit den Gewinnen aus der Nachlaßverwaltung des Ostrock auch ganz zufrieden, wie Konzernchef Thomas M. Stein einräumt. Seit die Ostalgiewelle richtig rollt, liefert Amiga quasi den Soundtrack dazu. Was auch den Rubel so rollen ließ, daß Stein den Kaufpreis für das Label „schon nach drei Jahren wieder eingespielt“ sieht. Doch seine Freude ist geteilt. Immerhin lautet das im moralisch- kaufmännischen Doppelpack verschweißte Ziel: „Klischees überwinden, den Westen erobern.“ Und da ist noch sehr viel Raum auszufüllen. Nur ein bis fünf Prozent aller Best-of-CDs ehemaliger DDR-Bands werden jenseits der Amiga-Heimat verkauft. Lediglich die westbekannten Altrocker Puhdys, Karat und Silly kommen auf mehr, während City sogar die Angleichung der Absatzverhältnisse in Ost und West gelingt.

Durch eine große Marktoffensive soll das östliche Liedgut nun die Herzen und Portemonnaies der Altbundesbürger öffnen. Die Expansion ist schon deshalb nötig, weil das heimatliche Feld inzwischen ziemlich abgegrast ist. Irgendwann ist der Bedarf an vergessenen Farbfilmen, die Nina Hagen zu dieser Zeit ein wenig Wencke- Myrrhe-haft besang, gesättigt. Als finalen Höhepunkt der Backkatalog-Auswertung gibt's aber noch einmal exquisite neue alte Ware. So wird zum 100. Geburtstag von Bertolt Brecht von der neuen Labeltochter Amiga-Wort eine Kassette mit 20 CDs seiner Werke aufgelegt. Aus den Archiven hat man zudem frühe Schlager und Jazzsachen ausgegraben. Während die Neuveröffentlichung der „Das Beste aus der DDR“-CDs (zusammen mit einem Amiga-Lexikon) eher als Einstiegsangebot für aufgeschlossene Musiksammler im Westen gedacht ist. Doch deutsch getextete Ostmusik ist oft ein seltsam Ding für Westler, selbst Ostwessi Manfred Krug fand als (in der DDR sehr erfolgreicher) Musiker keine Beachtung. Das könnte sich bald ändern, denn Amiga versucht ihn zusammen mit seinem swingenden „Tatort“- Kumpel Charles Brauer für Neuproduktionen zu gewinnen. Leider wird Krug viel von Werbeeinsätzen abgehalten. Die könnte er freilich weiter machen, ohne anwesend zu sein, folgte er der Idee von Amiga-Chef Jörg Stempel. Der sähe nämlich am liebsten den alten Krug-Song „Wenn du schläfst mein Kind“ als Begleitmusik für Pampers-Spots. Wie noch etliche andere Ostrock-Klassiker das künstlerische Potential zum Träger diverser Reklamebotschaften aufbringen. Nur zu gern hätte Stempel auch den Buck-Film „Wir können auch anders“ mit einem kompletten Ostrock-Soundtrack versehen. Aber wieder mal wurde er gar nicht erst gefragt. Um so mehr und fast flehentlich hofft er auf die Hilfe der Medien, daß der Ostrock auch im Westen seine Chance kriegt. Doch das scheint, bei allem Respekt vor den Amiga- Hits, wohl größtenteils eine Illusion zu sein. Nicht nur angesichts siebenjähriger (!) Erfahrungen, sondern auch, weil die teilweise wirklich guten Songs letztlich alte Schinken sind und vor allem über die persönliche Erinnerung Interessenten finden. Der Sound der neunziger Jahre klingt auch im deutschen Osten anders.

Produziert wird er unter anderem beim Berliner Label K & P Music, das die City-Musiker Toni Krahl und Fritz Puppel betreiben. Sie haben einerseits mittlere Acts wie Keimzeit oder Inchtabokatables unter Vertrag und außerdem eine „Spielwiese“ für Newcomer eingerichtet. Das Kapital dafür stammt zu nicht unwesentlichen Teilen aus dem Verkauf alter City- Platten über den Amiga-Backkatalog.

Bei aller Freude über die finanziellen Folgen, die man als ein Aushängeschild des Ostrock zu spüren bekommt, will City nicht nur über den definiert werden. „Berluc, NO 55, Silly, City war ja nicht alles eine Soße“, meint Fritz Puppel und will wenigstens aufpassen, daß nicht andere junge Bands seines Labels „noch nachträglich unter diese plakative Ostglocke“ gesperrt werden. K & P Music kooperiert zwar mit Amiga im Marketingbereich, ist aber künstlerisch autark. Voraus hat man Amiga insbesondere, daß ungleich mehr westdeutsche Bands bei K & P Music Aufnahme suchen. Das schafft Auswahl und Selbstbewußtsein. Bei Amiga, sagt Fritz Puppel, sehe er derzeit keinen Künstler, den „wir eigentlich lieber bei uns hätten“.

Damit das bald anders wird, will nun auch Amiga zunehmend neue Künstler suchen (ohne die alten zu vernachlässigen) und ein „ernstzunehmender Partner in der BMG- Familie“ (Stempel) werden. Nach dem Familienkrach wegen „mentaler Ost-West-Probleme“ hat Stempel immerhin die Versicherung einer „langfristigen Unterstützung“ des Chefs. Trotzdem ist Erfolg Pflicht. Den erhofft man sich unter anderem von einigen erstmals für Amiga singenden Westkünstlern.

Auf einem bald erscheinenden Sampler covern Fettes Brot, Jazzkantine und Stoppok alte Amiga- Hits. Erste-Reihe-Stars wie Herbert Grönemeyer und die Toten Hosen hatten für die Aktion West rockt Ost keine Zeit. Die belassen es beim Verkauf ihrer eigenen Lieder, also beim West zockt Ost im Plattenladen.

„Das Beste aus der DDR“ Rock, Pop, Kult (plus Amiga-Lexikon) 3 CD-Box Nr. 74321499342-333