„Kinkel sitzt in der Legitimationsfalle“

■ Angelika Beer, verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, über die deutsche Rolle bei der türkischen Militäroffensive gegen die PKK-Guerilla im Nordirak

taz: Frau Beer, seit mehr als vier Wochen haben türkische Streitkräfte in einer Großoffensive auf nordirakischem Gebiet operiert. Wie erklären Sie sich, daß dieser Militäraktion, immerhin ein Bruch des Völkerrechts, seitens der EU bis jetzt nur zu der Ermahnung geführt hat, die Offensive müsse sich in „angemessenen Grenzen“ halten?

Angelika Beer: Es ist davon auszugehen, daß nicht nur die USA, sondern auch die anderen Nato- Außen- und Verteidigungsminister über die militärische Intervention türkischer Nato-Truppen informiert waren. Es ist sogar wahrscheinlich, daß die USA die Operation logistisch und aufklärungstechnisch unterstützt haben.

Und Deutschland?

Die außenpolitische Handlungsfähigkeit Kinkels hinsichtlich der Türkei ist auf dem Nullpunkt angekommen. Die Bundesregierung hat nach dem Ende des Kalten Krieges das neue Feindbild Islamismus mitgeprägt, um die Weiterexistenz der Nato zu legitimieren. Seit der Regierungsbeteiligung von Erbakans islamistischer Wohlfahrtspartei ist die Bundesregierung in Schweigen und Hilflosigkeit versunken, statt den politischen Dialog mit der türkischen Regierung aufzunehmen.

Die Bundesrepublik ist, neben den USA, Hauptwaffenlieferant der Türkei. Verschiedene kurdische Organisationen sind in Deutschland verboten. Dennoch wurde von kurdischer Seite in letzter Zeit immer mal wieder ins Gespräch gebracht, daß Deutschland im türkisch-kurdischen Konflikt vermitteln könne...

Das ist illusorisch. Die Bundesregierung ist ja vor allem damit beschäftigt, die fatalen Auswirkungen der eigenen Politik zu deckeln. Damit meine ich: Aufrüstung der türkischen Armee und Einsatz deutscher Waffen im Kurdenkonflikt, Lieferung von Komponenten zur Giftgasproduktion an Irak und das Massaker in Halabja, militärische Aufrüstung Griechenlands und der Türkei und damit die Anheizung des Ägäiskonfliktes, Ausländerfeindlichkeit und Rechtsradikalismus in Deutschland. Dazu gehört auch das Verbot der PKK in Deutschland. Die Bundesregierung betreibt eine Sackgassenpolitik. Sie versucht, einen schon gemachten Fehler mit einem nächsten, noch schwerer wiegenden auszugleichen.

Die Bundesregierung bestreitet, daß die Türkei deutsche Waffen gegen Kurden einsetzt, obwohl das nun seit Jahren belegt ist. Warum leugnet Außenminister Kinkel den Vertragsbruch durch die Türkei?

Kinkel hat den Zeitpunkt verpaßt, die Waffenlieferungen selbstkritisch zu überprüfen und einzustellen. Diese Wende hätte spätestens erfolgen müssen, als der Einsatz deutscher – und auch anderer – Waffen gegen die kurdische Zivilbevölkerung nachgewiesen wurde. Jetzt sitzt Kinkel in der Legitimationsfalle. Der Außenminister ist reif für den Rücktritt.

Wie sehen Sie die Chancen für eine nichtmilitärische Lösung des Konfliktes in Kurdistan?

Es gibt keine Alternative zu den nationalen und internationalen Bemühungen für eine friedliche Lösung des Kurdenkonfliktes. Wäre die deutsche Bundesregierung bereit gewesen, das kurdische Volk sowie demokratische türkische und kurdische Oerganisationen und Initiativen aktiv zu unterstützen, anstatt die Verbotspolitik der türkischen Regierung zu betreiben und den Konflikt auch noch mit Waffenlieferungen anzuheizen, wären wir heute einem Waffenstillstand viel näher. Interview: Thomas W. Klein