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NachgefragtWird der Stradivari-Film verboten?

■ Medienrechtler kritisiert eklatante Rechtsverstöße

Die Bilder aus dem Schlafzimmer von Vasile D. und aus der Gerichtsmedizin, wo die Leiche der Bremer Musikprofessorin Maria Grevesmühl obduziert wurde, sollen nicht mehr über den Bildschirm flimmern. Das will der Hamburger Anwalt Jörg Nabert, der Vasile D. vertritt, mit einer einstweilige Verfügung erreichen, die Radio Bremen untersagen soll, die Reportage „Der Fall Stradivari - eine Woche bei der Bremer Mordkommission“nochmal zu senden.

Die Bremer Grünen wollen jetzt in einer kleinen Anfrage an den Senat klären, ob die Kripobeamten Beihilfe zum Hausfriedensbruch geleistet haben. Außerdem befaßt sich der Datenschutzausschuß der Bürgerschaft und der Rundfunkrat mit dem Fall.

Die Reportage, die Anfang Juni im ARD ausgestrahlt wurde, zeichnet die Ermittlungen der Mordkommission im Fall Maria Grevesmühl nach. Sie war im Oktober 1996 auf dem Bahnhof in Bremen-Schönebeck die Treppe hinuntergestoßen und getötet worden. Der Geiger Vasile D. soll einen Bekannten zur Tat angestiftet haben, um an die auf zwei Millionen Mark geschätzte Stradivari zu kommen. Vasile D., der Lieblingsschüler von Grevesmühl, bestreitet das. Der Student befindet sich auf freiem Fuß – das Landgericht hält die Aussage des Täters für wenig glaubhaft. Für den Film drehte Radio Bremen u.a. – ohne Einwilligung und Wissen von Vasile D. – bei der Hausdurchsuchung in dessen Schlafzimmer und zeigte Bilder von der Obduktion. Wir wollten von Nabert wissen, was aus seiner Sicht gegen den Film spricht. Nabert hat sich auf Rechtstreitigkeiten mit Presseorganen spezialisiert. Der Medienrechtler ist ein beliebter Interviewpartner. Radio Bremen bat ihn zuletzt vors Mikrophon. Thema: Die rechtlichen Versstöße bei Durchsuchung des Senders bei der Medien-Razzia im Herbst. 1996

Herr Nabert, Sie wollen die Sendung der Reportage verbieten. Grenzt das nicht an Zensur?

Ja, aber an erlaubte Zensur. Die Pressefreiheit muß da aufhören, wo die Rechte anderer eklatant verletzt werden. Das ist hier der Fall.

Inwiefern?

Ich halte den Film nicht für eine konsequente Reportage, sondern für eine Vermischung von objektiver Darstellung mit journalistischer Bewertung.

Das ist ein Stilmittel, über das man streiten kann...

Dadurch wird Vasile D. das Opfer einer massiven Vorverurteilung. Das Beispiel, das mich am meisten empört hat, ist die Vernehmungssituation. Ihm wird als Beschuldigten vorgeworfen, er sei der Drahtzieher des Überfalls. Und dann folgt ohne Übergang und ohne Punkt eine Bewertung des Sprechers. Er sagt: „Und das, obwohl Maria Grevesmühl ihren talentierten Schüler gefördert hat. Sie war seine wichtigste Mäzenen und sorgte dafür, das er studieren durfte.“Hier findet keine Trennung statt zwischen dem, was in dem Verhör geschieht, und dem, was der Autor denkt. Es wird so getan, als würde die Ermittlungssituation bei der Polizei referiert. Tatsächlich wird Vasile D. in dem Mittelpunkt gestellt. Der Film beginnt und endet mit ihm. Im Film steht schon am Anfang fest, wer der Täter gewesen ist.

In dem Film wird eine Zeugin gezeigt, die den Bruder von Vasile D. mit Grevesmühl im Zug gesehen haben will. Ihre Aussage hat sich als falsch herausgestellt. Eine Kellnerin hat mittlerweile bestätigt, daß die Brüder zur Tatzeit in einem Restaurant gegessen haben. Das wird nicht erwähnt. Im Gegenteil. Es heißt im Film die Aussage der Brüder sei falsch. Fehleinschätzungen zum Zeitpunkt der Ermittlungen gehörten zur Arbeit der Polizei, und die sollte gezeigt werden, sagt die Chefredaktion von Radio Bremen dazu.

Dann muß man aber die entlastenden Momente zeigen. 99 Prozent des Films sind Vorwurf und nie Entlastung.

Schlechter Stil oder strafbare Handlung?

Daß die Hausdurchsuchung durch die Polizei von einem Fernsehteam gefilmt wird, ist unzulässig. Das ist Hausfriedensbruch. Außerdem sind persönliche Dinge von Vasile D. beschlagnahmt worden, die auch noch im Fernsehen gezeigt worden sind – private Fotos und eine Videokassette. Es wird aus dem Strafregister des geständigen Täters vorgelesen, und zwar so, als hätten alle Beteiligten sehr viel Spaß daran. Das wirkt nicht nur zynisch, sondern verstößt auch gegen das Bundeszentralregistergesetz und gegen das Strafgesetzbuch. Aus Ermittlungsakten und dazugehörigen Unterlagen darf nicht zitiert werden. Hier haben sich meines Erachtens sowohl die Polizisten als auch der Fernsehsender strafbar gemacht. Ein krasses Beispiel ist auch die Vernehmung von Vasile D., die vor der verschlossenen Tür gefilmt wird. Radio Bremen hat durch die Tür eine Tonbandaufnahme hergestellt und gesendet. Das privat gesprochene Wort darf nicht aufgenommen werden. Das diese Szene gesendet wurde, ist ein weiterer Straftatbestand. Das ist besonders perfide, weil Vasile D. in dem belauschten Verhör vorgeworfen wird, er sei an der Tat beteiligt und bestreite dies. Das wird unkommentiert gesendet.

Der Polizeipräsident hat Radio Bremen aber erlaubt, die Ermittlungen zu begleiten. Nach Angaben von Wolfgang Rau, Chef der Mordkommission, ist bei der Polizei sogar „nochmal geprüft worden, ob Zeugenrechte verletzt wurden.“

Hier sind nicht die Rechte der Zeugen tangiert worden, sondern die der Beschuldigten! Dies ist offenbar nicht geprüft worden, sonst hätte man die Verstöße bemerken müssen.

Was muß man beachten, wenn man die Arbeit der Kripo zeigen will, ohne sich selbst strafbar zu machen?

Man muß den Schutz Beschuldigter wahren. Nur weil jemand beschuldigt wird, ist er noch lange nicht rechtlos! Die Privat- und Intimsphähre sind geschützt. Die Unschuldsvermutung muß gewahrt bleiben. Der Film ist ein Beispiel, wie man es auf keinen Fall machen sollte. Fragen: kes

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