piwik no script img

Multisubkulti

Mehr Zusammenfassungsleistung als innovatorische Großtat: Das „Kursbuch JugendKultur“  ■ Von Thomas Groß

Alle reden von der Jugend. Der Bollmann Verlag auch. Auskunft über „Stile, Szenen und Identitäten vor der Jahrtausendwende“ verspricht ein „Kursbuch JugendKultur“, herausgegeben von einer Gruppe von Studenten der Universität Gießen, die sich selbst den Namen SPoKK (Arbeitsgruppe für Symbolische Politik, Kultur und Kommunikation) gegeben hat.

Das Foto über dem Klappentext zeigt eine lockere, um einen Laptop gelungerte Assoziation jüngerer Wissenschaftler mit (ganz) leichtem Slacker-Touch. Ins Bild gehaltene Buchtitel und Plattencover stehen symbolisch für einen Forschungsansatz, der „sich durch eine besondere Nähe zu Phänomenen der Gegenwartskultur auszeichnet“. Will sagen: Hier sprechen Leute, die mal Fans waren oder noch sind. Zart deutet sich aber auch ein Anspruch auf Definitionsmacht an, wenn im Vorwort ein fälliger „Generationswechsel“ in der Jugendforschung angemahnt wird. Man darf in diesem Sinne von einer Posse sprechen, die ein mitgeliefertes Glossar jugendkultureller Topics wie folgt definiert: „Im Kontext der HipHop-Kultur bezeichnet der Terminus eine Mischform aus solidarischer Clique und einer an der Durchsetzung von Interessen orientierten Seilschaft.“

In Gießen zumindest scheint durchgesetzt, was in den angloamerikanischen Cultural Studies geträumt war: Doktorarbeiten heißen nicht mehr „Begehren, Schrift und Differenz im Werk Franz Kafkas“, sondern „Streetball – Jugendkultur im Zeichen der Generation X“. Sie liefern im Rahmen des „Kursbuchs“ Software wie Grundstoff für Annäherungen an popkulturelle Szenen, die von eher literarischen „Artbreaks“ durchsetzt sind, die wiederum mit bereits anderswo veröffentlichten Wortbeiträgen anerkannter Cultural- Studies-Forscher (Dick Hebdidge, Tricia Rose, Andrew Ross und andere) angereichert wurden. Ein sozusagen intertextuelles Verfahren, das in seinen „wilden“ Verbindungen an eine Recherche im Internet erinnert: Kein Text darf abschließende Autorität für sich in Anspruch nehmen, Hyperlinks verweisen auf weitere Dateien, wie jeder Text auf einen Vor- oder Nachläufer aufmerksam macht. Auch „inhaltlich“ ist die Diversifizierung enorm und kaum durch Theorie gebändigt. Eine Untersuchung zu Beleidigungsduellen bei jungen Türken steht neben Anmerkungen zu HipHop in der postindustriellen Stadt, Gothic-, Metal- und S-Bahn- Surfer-Recherchen, einer Soziologie des Videospiels, glossenartigen Texten zu Tank Girl und Kelly Family, Überlegungen zur Politik des Hackens und der Frage, ob und wie Frauen im Rock-Diskurs präsent sind.

„Eine systematische, politisch und historisch orientierte Kritik der Begriffe ,Jugend‘ und ,Kultur‘ aber fehlt“, hat Tom Holert in Spex den Herausgebern vorgeworfen. Tatsächlich ist dieser Reader mehr Zusammenfassungsleistung als innovatorische Großtat. Antwort auf letzte Fragen sucht man vergebens, neben schönen Aperçus gibt es viel Bekanntes, und wo der Duktus sich zu sehr auf eine Akademisierung der Cultural Studies einläßt, kommt er darin um (Fan- Gewalt wird als „adoleszente Identitätskrise oder als Reaktion von Jugendlichen auf makrosozial bedingte Sozialisationsdefizite begriffen, die diese durch subkulturelle Lebensentwürfe kompensieren, in denen zum Teil gewisse Dispositionen für gewalttätige Verhaltensweisen angelegt sind“ – alles klar?). Allerdings sollte erklärtermaßen auch gar nicht mehr bezweckt werden, als „Auskunft über Tendenzen zu geben“ – nebst einigen Angeboten, „diese zu verstehen“. Mit seinem leicht beleidigten Unterton begibt Holert sich in die Nähe jenes Klagediskurses, der im Hinblick auf die sogenannte Generation X schon etwas Rituelles hat. Wahrscheinlich genieße die Generation der heute 18- bis 30jährigen den schlechtesten Ruf aller bisherigen Generationen, vermutet Douglas Kellner in einem Beitrag über das Aufwachsen in den Zeiten von Techno und Internet. Sie wird „als ausgeklinkte, abgestumpfte, leere oder als Generation egozentrischer Taugenichtse abgestempelt“.

Wenn allerdings aus diesem „Kursbuch“ eines klar wird, so sind es die Gründe für die Abkehr der Post-Boomer-Generation von den Nutznießern eines bis dahin nicht gekannten Wirtschaftsaufschwungs. Nicht nur im Titel-Rip- Off spottet der Reader der Vorstellung, es gebe im echten falschen Leben noch Enzensberger oder andere Steuermänner. „Wir sind ein aus der Kontrolle geratenes Marketingexperiment“, schreibt Douglas Rushkoff, Chronist der Cyberkultur, in einer Art Unabhängigkeitserklärung der Pillenknick-Kinder: unideologisch, pragmatisch, technikinteressiert, enttäuscht von der Welt, wie die arrivierten Rock'n'Roller-Eltern sie ihnen hinterlassen haben. Mag sein, daß dieses narzißtische Wir- Gefühl einer Generation, die, wie jede vorausgegangene, genügend Gründe ausfindig macht, sich als „verlorene“ Generation selbst zu bedauern, korrigiert werden muß, wenn die Twentysomethings von heute einmal das Marschpensum der Boomer durch die Institutionen hinter sich gebracht haben. Solange Deutschland es nicht einmal zu einem Rock'n'Roll-Präsidenten à la Clinton gebracht hat, gibt es keinen Grund, mehr Pop in Forschung und Lehre nicht grundsätzlich zu begrüßen, aber einige, allzu beherzten Richtungsvorgaben zu mißtrauen.

Ohnehin ist Definitionsmacht nicht mehr, was sie einmal war. In einem ziemlich lustigen Gespräch zwischen Douglas Coupland (Autor von „Generation X“) und Richard Linklater (Regisseur von „Slacker“), erklären die beiden Jahrzehntwort-Präge-Gestalten, warum sie mit ihren eigenen Labeln nichts mehr zu tun haben wollen. Kennengelernt haben sie sich über die Konferenzschaltung einer Sendung namens „Sonya Live“ auf CNN, in der es vor- und hinterher um Katzen ging, die auf Kloschüsseln klettern können. Linklater: „Wir waren also wie der Belag eines Sandwichs zwischen Katzen, die in die Toilette pinkeln. Aber es waren unsere 15 Minuten.“

SPoKK (Hg.): „Kursbuch JugendKultur. Stile, Szenen und Identitäten vor der Jahrtausendwende“. Bollmann Verlag, 405 S., 38,80 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen